Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 28./29. August 1999

Geldwäscherei mit Derivaten

Der Reiz der Finanzmärkte für Kriminelle

Von Wolfgang Hafner (*)

Der von den Vereinigten Staaten von Amerika initiierte Kampf gegen die Drogen zog die Bekämpfung der Geldwäscherei auf internationaler Ebene nach sich, Wurden früher vorwiegend: kleingewerbliche, auf Bargeld fixierte Formen der Geldwascherei als relevant betrachtet, so sind: heute die modernen Finanzmärkte ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Derivate können sich, wie der nachstehende Beitrag zeigt, auch gut für Geldwäscherei eignen. (Red.)

Auf Druck der USA schufen die wichtigsten Industrienationen ab Ende der achtziger Jahre umfassende. Gesetze, die immer mehr Institutionen und Organisationen in die Bekämpfung der Geldwäscherei einbinden. Spezialisierte Polizeistellen wurden errichtet. In einzelnen Ländern wurde nach dem Vorbild der USA das Beweisverfahren bei Verdacht. auf Geldwäscherei umgekehrt: Nicht.mehr die Untersuchungsorgane müssen den Nachweis der schmutzigen Herkunft der Einnahmen erbringen, sondern die verdächtigen Unternehmen und Organisationen selbst müssen beweisen, dass das Geld aus einer sauberen Quelle stammt. Zunehmend wollen die USA auch ihre Gesetze direkt exportieren. Im US-Kongress sind Bestrebungen im Gang, die Filialen der Auslandbanken in den USA gleich zu behandeln wie die einheimischen Banken. Dadurch würden die Auslandbanken in den USA dazu verpflichtet, den US-Behörden alle »verdächtigen« Transaktionen zu melden. So würde auch das Schweizer Bankgeheimnis gefährdet. Eine Schweizer Bank könnte diese RegeIimg nur umgehen, wenn sie sich:aus dem US-Markt zurückzöge. Ein weiteres Indiz einer härteren Gangart liefert die vor einem Jahr aufgeflogene Aktion »Casablanca«, bei der amerikanische V-Männer ohne Wissen der betreffenden nationalen Behörden in verschiedenen südamerikanischen Staaten agiert haben.

Problematische Bargeldfixierung

Das energische Vorgehen der US-Behörden ist angesichts der bisherigen mageren. Erfolge bei der Bekämpfurig der. Geldwäscherei nachvollziehbar. Michael Camdessus, Geschäftsleiter des Internationalen Währungsfonds (IMF), schätzt den Betrag des jährlich.gewaschenen Geldes auf 2% bis 5% des WeIt-Bruttosozialproduktes, was in absoluten Zahlen über 4000 Mrd. $ entspridht. Pro Jahr werden jedoch bloss einige wenige Milliarden Dollar als gewascheries Geld identifiziert und konfisziert. Bezeichnenderweise meinte denn auch kürzlich der britische Geldwaschexperte Prof. Barry Rider in der »Financial Times«: »The war on money laundering is lost.«

Als mögliche Ursache für die mangelnde Effizienz bei der Bekämpfung der Geldwäscherei wird in der neueren Forschung deren weitgehende Bargeldfixierung beschrieben. Diese Fixierung ist nicht zuletzt auf die von den US-Behörden, vorgegebene Aufgliederung des Geldwaschvorganges in die .Phasen »Placement«, »Layering« und »Integration« zurückzuführen. Unter »Placement« wird dabei:die Placierung des schmutzigen Geldes im Buchgeldkreislauf verstanden. Der zweiten Phase, dem sogenannten Layering, wird das Verwirrspiel beziehungsweise das Durchschleusen des schmutzigen Geldes dnrch Transaktionskaskaden über verschiedene Off-shore-Destinationen zugeordnet. Die dritte Phase, die »Integration«, entspricht der anschliessenden Einspeisung in den normalen Wütschaftskreislauf.

Traditionelle Geldwäschereibekämpfung legt ihr Augenmerk vor allem auf den am besten kontrollierbaren Schritt bei der Geldwäscherei, also auf die Einspeisung des schmutzigen Geldes in den Buchgeldkreislauf. Auf diesem Niveau setzt auch die Arbeit der Überwachungsorgane ein. So sollen bei der englischen Meldestelle für Geldwäscherei weitgehend bloss Meldungen über wenig komplexe. (Bargeld-)Transaktionen eintreffen, wie aus eirier Untersuchung von Michael Gold und Michael Levi hervorgeht. (Die beiden Kriminologen Gold und.Levi untersuchten das Verhalten .der Meldestellen bei Verdacht auf Geldwäscherei im Auftrag einer englischen Polizeistiftung.) Dies entspricht auch den Interessen der Justiz, ist sie doch an allgemein.verständlichen, bildhaften Tatvorgängen interessiert Eine einfache; kleingewerbliche Verbindung zwischen Vortat und Geldwäscherei ist eher justitiabel als hochkomplexe Finanztransaktionen mit weit vorgelagerter Vortat.

Transaktionen - aber ohne Bargeld

Makroökonomische Untersuchungen wie etwa jene von.Peter Qurik, der als wissenschaftlicher Mitarbeiteiter beim IMF arbeitet, ergaben jedoch für wirtschaftIich entwickelte Länder keinen Zusammenhang zwischen dem Geldumlauf und der generellen Kriminalität. Im Gegeriteil. Nach Qurik ist die Kriminalitätsrate mit der Devisennachfrage und der gesamten Geldnachfrage stark negativ korreliert. Qurik nimmt an, dass illegal erworbene Vermögen in entwickelten Ländern vorwiegend auf parallelen Finanzmärkten und durch Naturaltausch sowie mit ausgeklügelten nicht-monetären Instrumenten (Derivaten) gehandelt werden. Die eigentliche Geldwäsche dürfte demnach nicht über simple Bargeldtransaktionen oder andere einfache Finanzkonstruktionen erfolgen, sondern Teil eines umfassenden, arbeitsteiligen Konzeptes sein.

Vorstellbar ist etwa folgendes Vorgehen: X hat in Los Angeles einen Drogengewinn von 10 Mio.$ in bar in die lokale Filiale einer illegalen Bank einbezahlt. Die »Bank« ist als Juweliergeschäft getarnt. Gegen die 10 Mio.$ Drogengeld bekommt X 6 Mio.$ sauberes Geld zugesichert. Die 10 Mio.$ werden durch die illegale Bank in die Ukraine transferiert urid dort via Mittelsleute an einen Fabrikanten ausgezahlt, der das Geld in die in Dollar rechnende Realwirtschaft investiert. Woher kommt nun das saubere Geld? Ausgangspunkt ist auch hier der Fabrikant, der in der Schweiz bei einer Bank über längerfristig angelegte Fondseinlagen in Millionenhöhe verfügt. Dank seiner Bürgschaft wird den Mittelsleuten der illegalen Bank ein Kredit von 7 Mio.$ gewährt. Nun wird von den Mittelsleuten ein Derivatgeschäft über einen Broker arrangiert, das der allgemeinen Marktentwicklung zuwiderläuft. Gegenpartei bzw. Gewinner ist - o Wunder - der Drogenhändler X, der so seine sauberen 6 Mio. $ erhält. Damit ist die Papierspur zwischen Bürge, Mittelsleuten, Bank und Broker endgültig unterbrochen. Von der verbleibenden 1 Mio.$ an Krediten lassen die Mittelsleute 900000 $ an die illegale Bank in Los Angeles auszahlen, weitere 100.000$ beanspruchen sie für ihre eigenen Bemühungen. Zwei Jahre später zahlt der ukrainische Fabrikant seinen Zürcher 7-Mio.-$-Kredit zurück. Das Geld dazu kommt aus dem 10-Mio.-$-Investment in der Ukraine.

Derivate als ideale Instrumente

Für Geldwaschtransaktionen in nichtmonetären oder parallelen Märkten weisen die Derivate Eigenschaften auf, die sie als für die Geldwäsche besonders geeignet erscheinen lassen: Ein Derivat ist eine verbriefte Wette zweier Kontraktparteien über den zuküftigen Preis eines bestimmten Basiswertes. Ein solcher Kontrakt kommt letztlich: einem »Nullsummenspiel« gleich. Der Gewinn der Kontraktpartei, welche die Zukunft. richtig prognostiziert, ist der Verlust der anderen Kontraktpartei. Erklärbar ist diese Diskrepanz. durch unterschiedliche Erwartungen. Geldwäscherei mit Derivaten ist nun der gesteuerte Durchlauf schmutzigen Geldes durch einen solchen Derivätkontrakt, so dass die Kontraktpartei mit dem schmutzigen Geld »sicher« verliert. Auf Grund des NullsummenspieI-Charakters der Denvate taucht dieses Geld bei der anderen Kontraktpartei als legitimer Gewinn im Derivatgeschäft w<eder auf. So stellt sich auch das Problem der Beweislastumkehr nicht: Denn für den aus dem Derivathandel erwirtschafteten Gewinn kann die Legitimität eindeutig erbracht werden.

Grundsätzlich bilden sich nun nach der Art und der Handelsabwicklung der jeweiligen lnstrumente zwei Möglichkeiten der Geldwäsche: einerseits mit Hilfe der nichtbörsengängigen OTC-Produkte, anderseits durch börsengehandelte Instrumente. Dabei verzeichnen die nichtbörsengängigen Produkte weltweit deutlich höhere Umsätze als die börsengängigen Derivate. Gemäss den Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat sich die Summe aller offenstehenden OTC-Derivate in den letzten drei Jahren um 130% auf 70 Bio $ erhöht. Wie eine von der lUS-Derivataufsicht CFTC kürzlich durchgeführte Untersuchung über den OTC-Derivatbereich in 16 Ländern ergab, ist die Regulierung in diesem riesigen Markt generell niedrig urid wird von den nationalen Regulatoren zudem nach sehr unterschiedlichen Kriterien vorgenommen. Was auf den internationalen Märkten für OTC-Derivate vor sich geht, liegt zurzeit völlig im dunkeln und damit auch ausserhalh des Wirkungsbereiches von Geldwaschgesetzen und Ermittlungsbehörden.

Wie Geldwäsche mit OTC-Derivaten funktionieren kanri, soll das nachfolgende Beispiel illustrieren. So könnte beispielsweise eine von der japanischen Yakuza beeinflusste Bank mit einer :von der italienischen Mafia kontrollierten Finanzgesellschaft einen Zinssatz-Swap abschliessen, das in Billionenhöhe existierende gängigste Derivat auf den globalisierten Märkten. Während der Dauer dieses Kontraktes werden die Zinszahlungen auf zwei bestimmten Kapitalien in Japan und Italien getauscht. Je nachdem, wie sich die Zinsen entwickeln, wäscht dieser Swap entweder Geld für die Yakuza oder für die Mafia, die beide einen Geldwaschbedarf haben. Soll der Swap gleichzeitig Geld für beide Parteien waschen, müsste er mit einem zweiten Kontrakt kombiniert werden, der die Bedingungen des ersten spiegelt.

US-Regeln ermöglichen Geldwäsche

Aus der Welt:der börsengängigen Produkte stammt ein weiteres Beispiel, das im Anhang des »1998-1999 Money Laundering Typologies Report« des FATF abgedruckt. ist. Die Financial Action Task Force (FATF) ist die bedeutendste internationale Organisation zur Bekämpfung der Geldwäscherei und wurde von den wichtigsten Industrienationen gegründet. Nach dem FATF-Bericht kann nicht nur im kaum regulierten OTC-Bereich, sondern auch mit börsengängigen Derivaten auf staatlich regulierten Märkten völlig.legal Geld gewaschen werden. In diesem Beispiel führt ein Broker für einen Kunden mit Geldwaschbedarf zwei verschiedene Konten, ein Konto A für das schmutzige Geld und ein Konto B für das saubere Geld. Am Morgen des Handelstages kauft der Broker an der Derivatbörse 100 Derivatkrontrakte zu einem Preis von $85,02 mit einem Tickpreis von 25$ (Ein Tick oder Punkt ist die Preisdifferenz von einem Hundertstel eines Dollars.) Gleichzeitig verkauft er 100 gleich Kontrakte zu einem Preis von 85$. Beides sind völlig legal erworbene börsengängige Derivatkontrakte.

Am Nachmittag des Handelstages haben sich die Kontraktpreise am Markt verändert: der Verkaufspreis ist nur $84,72 und der Kaufpreis $84,74. Nun teilt der Broker den Kauf von $85,02 vom Morgen und den Verkauf von $84,72 am Abend dem Konto A zu. Die Preisdifferenz beträgt 30 Punkte oder Ticks (Differenz zwischen $84,72 und $85,02). Der Verlust auf dem verkauften Kontrakt entspricht dem Tickwert von 25$, multipliziert mit der Kontraktmenge , multipliziert mit der Preisänderung von 30$, also total 75000$.

Die anderen Abschlüsse werden dem B-Konto zugewiesen, wo nach der gleichen Rechnung ein Profit von $65 000 resultiert (25$ x 100 x 26$ = 65000$). Somit hat das schmutzige A-Konto 75 000$ verloren, damit dem sauberen B-Konto 65 000$ Derivatgewinn gutgeschrieben werden können. Diese Transaktion ist aus Sicht des Brokers völlig legal. Er musste keine Kontraktdokumentation fälschen, sondern nur die entsprechenden Kontrakte den entsprechenden Konti zuweisen. Erst bei Abschluss des Handelstages um fünf Uhr abends müssen die einzelnen Kontrakte den einzelnen Kunden zugeschrieben werden. Bei den heutigen hohen Tagesvolatilitäten der Basiswerte können so problemlos hohe Verluste auf einem bestimmteri Kundenkonto akkumuliert und auf einem anderem Konto aufgeschrieben werden.

Dieses Beispiel der FATF-Experten stammt aus der Welt der US-Derivatbörsen. Es funktioniert, weil die Commodity Futures Trading Commission (CFTC), die den Handel an den US-Derivatbörsen regelt, ihre Handelsvorschriften im August 1998 gelockert hat. Seit dem Oktober 1998 erlaubt die Commission Regulation 1.35 (a-1) den registrierten Kundenbrokern an den US-Derivatbörsen die Placierung von Sammelaufträgen, so-enannten Bunched Orders, ohne dass die Kundenidentität der einzelnen, im BündeI zusammengefassten Kundenorders deklariert werden muss.

Unterbrochene Papierspur

Hintergrund dieser neuen Handelsregel, die die Papierspur zwischen den Kontraktparteien unterbricht und damit die legale Geldwäscherei ermöglicht, ist der enorme internationale Konkurrenzkampf zwischen den Derivatbörsen. Die CFTC hofft mit einer solchen Vereinfachung der US-Handelsregeln die Kosten zu senken und damit die US-Börsen gegen die wachsende Konkurrenz in Europa, Asien und Südamerika zu stärken. Aus US-Sicht ist dies auch dringend nötig. Seit 1987 haben die US-Derivatbörsen dramatisch. Marktanteile verloren, diese sind von rund drei Vierteln des Weltumsatzes bis 1998 auf etwa einen Drittel gesunken. Die CFTC steht unter ständigem Druck der US-Derivatbranche und insbesondere der US-Derivatbörsen, die Regeldichte zu reduzieren, was zur Senkung der Transaktionskosten führt. Unter dem Druck von Branchenvertretern hat die CFTC die im Rahmen des amtlichen Vernehmlassungsverfahrens erhobenen Bedenken, die neue Vorschrift könne die Geldwäscherei erleichtern, in den Wind geschlagen. Gleichzeitig kommt es auf Grund der Komplexität der Materie und der damit verbundenen schwierigen Beweisführung kaum zu Verurteilungen wegen Geldwäscherei, wenn Derivate im Spiel sind. Um so wichtiger wird unter diesen Umständen interdisziplinäre Forschung, die, ausgehend von theoretischen Modellen, Hinweise zu praktischen Möglichkeiten der Geldwäscherei liefert und so auch Druck zu einer Umorientierung der Behörden schafft. Allerdings beschäftigt sich zurzeit bloss eine Handvoll Forscher beim IMF oder bei der FATF intensiv und langfristig mit dem Thema

(*) Zusammen mit Gian Trepp ist der Autor mit finanzieller Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (NFP 40) während anderthalb Jahren der Frage nachgegangen, wie und ob Derivate für die Geldwäscherei benutzt werden. Im Frühling 2000 soll zu diesem Thema ein populärwissenschaftliches Sachbuch erscheinen.