Die Vereinsamung der Ökonomen im Tower of the Euro und

das Ende der Gemütlichkeit für Zentralbankiers

von Georg P. Christian

Otmar Issing, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, hat in einem Beitrag für die FAZ unter der erhabenen Rubrik »Die Ordnung der Wirtschaft« öffentlich Beistand herbeigerufen - um einen Beistand der Nicht-Ökonomen bei der Beschwichtigung und Beruhigung der »Globalisierungsgegner«.

Diese zumeist über das Internet weltweit organisierten Stoßtrupps stören die Tagungen der Währungs, Bank- und Finanzmandarine doch sehr, lassen sich immer lauter und lästiger vor den Hotels und Tagungsstätten vernehmen und drängen sich geschickt ins weltweite Fernsehbild, das immer häufiger den subkutanen Eindruck von »Umstrittenheit« als einzigem Nachbild hinterläßt.

Mittlerweile gelingt es ihnen sogar, die Tagungskarawane in die Vertraulichkeit und Ruhe einer Internet-Konferenz einzuzwängen. Wenn nun aber die internationale Finanzbürokratie aufs Reisen verzichten müßte, ginge ihr doch manches an Arbeits- und Lebensqualität ab. Sie würde ja dann ausgerechnet um ein wesentliches Moment der erdumspannenden Nähe gebracht, das sie so zu schätzen und als selbstverständlich zu nehmen gewohnt war: die weltweite Mobilität.

»Gewalttätige Demonstrationen auf internationalen Wirtschaftstreffen, ob in Seattle, Prag oder Davos, haben dank ihrer Medienwirksamkeit die Botschaft bis in den letzten Winkel des Globus verbreitet: Die Globalisierung und der damit kongruent gesetzte Neoliberalismus bedrohen wenn nicht die Menschheit selbst, so doch die Vorstellung einer humanen Welt. Rund um den Erdball sind sich viele Politiker und noch mehr Intellektuelle einig in der Verdammung der Globalisierung. Die Front reicht von den Taliban bis zur Academie Française.«

Attac allenthalben; verständlich, daß der altgediente Bundesbankier darüber irritiert ist. Aber auch die Aussichten von seinem Chefsessel in der EZB im ehemaligen Haus der Bank für Gemeinwirtschaft (immerhin um einiges zentraler und weitreichender als die Aussicht vom Gebäude der Bundesbank im beschaulichen Frankfurter Ginnheim, wo den Insassen immer auch der lästige Aufblick auf den Fernmeldeturm die Aussicht trübt) sind alles andere als »gemütlich«. Etwas mehr als ein halbes Jahr vor Inkraftsetzung der europäischen Gemeinschaftswährung steht seine Europäische Zentralbank als alles andere denn eine souveräne Institution zur Verwaltung und Beherrschung aller Geldangelegenheiten in der Europäischen Union da. Seinem Präsidenten hatte der Chefideologe der EZB bestimmt nicht geholfen, als dieser mit seltsamen Begründungen die letzte Zinssenkung zunächst verweigerte, dann plötzlich bekanntgab - eher trotzig und nicht souverän, ein bis zwei Wochen, nachdem das Geschrei der internationalen Finanzwelt ohrenbetäubend angeschwollen war, mit Aussagen zur Geldmenge und zur über Nacht entdeckten Änderung der Inflationsrate, die in ihrer Widersprüchlichkeit auch Rudi Carrell in einer Tagesshow gut hätte vortragen können.

Wenn Otmar Issing seinen Aufsatz »Globalisierung ist nie Gemütlichkeit« betitelt, so ist die Aussage selbst nicht neu, genauso wenig wie der Sachverhalt einer globalen Wirtschaft. Neu sind vielmehr die mitschwingenden Töne, die durchaus vernehmbar anklingen lassen, daß Tun und Dasein der Währungsmandarine spürbare Veränderungen erleiden könnten. Von der Bundesbank über die Bank von England bis hin zum sorgenzerfurchten und ratlosen Alan Greenspan und nicht zuletzt beim IWF, könnten sich die Rahmenbedingungen der Zentralbanktätigkeit, von einigen über die Welt verstreuten Zahlungskrisen beschleunigt, in einen Zustand der Ungemütlichkeit bewegen, zu dem sich bei Friedrich August von Hayek keine Fundstelle finden lassen wird, die auswendig gelernt und hergebetet werden könnte. Dessen Glaubensbekenntnis: »Unser Vertrauen auf die Freiheit beruht nicht auf den vorhersehbaren Ergebnissen in bestimmten Umständen, sondern auf dem Glauben, daß sie im Ganzen mehr Kräfte zum Guten als zum Schlechten auslösen wird«, reicht vielleicht aus, um der Propaganda für »Globalisierung«, genauer: für weltweiten Freihandel mit allem und jedem, einen Katechismussatz zu unterlegen, aber gewiß nicht dazu, zu erkennen, wie die Gefahren der »Globalisierung« selbst für den Bestand der weltweiten »Chrematosphäre« beherrschbar werden können. Und daß es diese gibt, weiß der Chefvolkswirt der EZB aus seinen Besprechungen im Baseler Komitee zur Bankenaufsicht nur zu gut. In einem Vortrag zum »International Frankfurt Banking Evening« am 3. Mai im Frankfurter Römer ging der Vorsitzende dieses Komitees im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, William J. McDonough, auf eine der wichtigsten »Schwankungsanfällgkeiten« des global freien Handels mit Geld und Kapital unter der Überschrift »Marktdisziplin« ein:

»The third pillar of the new capital adequacy framework, market discipline, is an important ally of official supervision and can create powerful incentives for banks to manage their risks appropriately. Marketplace participants, including investors, creditors, and other financial counterparties, can reward sound management or penalize weak management through their influence on the value of a bank's equity and debt and on its access to credit.
Such discipline is not possible without meaningful public disclosure of a bank's financial condition. I think we would all agree that there is no greater enemy to a stable financial marketplace than a lack of confidence, and surely nothing undermines confidence more than a lack of reliable information. Discipline by the market is not always pleasant - a lesson many companies have re-learned recently. Yet better quality information, or what we often call transparency, can boost the confidence of depositors, investors, and creditors, and it can contribute to stability by encouraging banks to adopt a more proactive approach to managing their risks.
In this regard, just last month the Basel Committee published the results of a two-year study on public disclosure practices of internationally active banks as a guide to the industry and accounting standards setters on areas where disclosure can be improved.
While many countries have made great progress over recent years to improve the quality and level of disclosure, disclosure practices have not kept up with the changes in how banks manage their businesses and in how they measure and mitigate their risks. To improve this situation, I believe that the notions of what is public versus proprietary information must change. It is critical to approach the question of disclosure as users of financial statements. Shareholders, creditors, and counterparties cannot understand the risks of their own exposures to a bank until they first understand that bank's appetite for risk and its approach to, and methodologies for, managing risk. What should drive this debate is market participants' need for information to make sound and secure credit and investment decisions, rather than the concerns some have about what was once considered secret.
Transparency promotes confidence, and in light of the increasingly international nature of markets, we must ensure that disclosure in different countries is sufficient and broadly consistent to promote greater financial stability across markets. That will no doubt require additional harmonization of accounting standards so that supervisors, bankers, and other market participants alike can better understand and act appropriately to manage their exposures to markets or institutions abroad.« http://www.bis.org/review/r010504a.pdf

Transparenz und individuelle Willkür

Transparenz und Offenlegung der Risiken vor allem bei privaten Teilnehmern in den internationalen Finanzverhältnissen haben gewiß zwingende Logik für sich, doch hat hier die »Botschaft der Ökonomen die Empirie auf ihrer Seite«, wie Otmar Issing, dem Modell der Ökonomen zur Erklärung der »Globalisierung« folgend, treuherzig bekundet? Anders gefragt: Wie wollen die Bankenaufseher im weltweiten Nexus der »abgeleiteten« Forderungen und Verbindlichkeiten bei den Nicht-Banken Transparenz und Offenlegung durchsetzen, die als Hedge Funds doch irgendwo »offshore« gegründet worden sind, um gerade die Bankenaufsicht zu umgehen? Die überdies, nach dem Ratschluß der amerikanischen Federal Reserve und dem zaudernden Willen des ängstlich gewordenen Gurus Greenspan, als dem amerikanischem Recht nur peripher unterworfene Finanzkapitalorganisationen von durchgreifenden Regulierungen verschont bleiben sollen? Wieviel Transparenz muß erzwungen werden, wenn das bailing out von LTCM nur auf Zu- und Notruf an die New Yorker Federal Reserve gelingen konnte und obendrein die Kapital einschießenden »Globalbanken« trotz mancher Spiegelung der Kontrakte jenes Hedge Funds noch so finanzkräftig und risikogesichert dastanden, um diese Rettungsaktion vor dem Abgrund des Systembruchs unter Leitung von McDonough und seinen brillanten Helfern durchziehen zu können? Was wäre geschehen, wenn auch nur eine Bank von denen, die zum Einschuß aufgefordert wurden, selbst zu sehr exponiert gewesen wäre, so daß sie, den Nachweis ihrer mangelnden Risikoabsicherung und Kapitalstärke fürchtend, ihre Beteiligung hätte verweigern müssen? Gewiß ist eine derartige Annahme keine vertrauensbildende Vorstellung, doch wie würde die internationale Banken- und Risikoaufsicht, deren Code das Baseler Komitee derzeit in Umlauf bringt, diesen Moment der Wahrheit vermeiden wollen, wenn ihr zuvor keine vollständigen Informationen durch Transparenz und Offenlegung der Risiken zugänglich geworden sind?

Wenn man der Argumentation Otmar Issings folgt, dann ist an die Befolgung dieser »Pflicht« beim »Selbstverständnis der Eliten heute« gar nicht erst zu denken. Der Kern dessen, was die mit Geld, Kapital, Gütern und Menschen handelnden Eliten heute an der »Globalisierung« geradezu süchtig zu genießen dürsten, ist die Fähigkeit, in diesem weltweiten Strudel der Billionen Dollars und Bytes sich selbst in einem winzigen Bruchteil der Geschichte als »masters of the universe« zu fühlen und mit Zahlen die Welt zu bewegen. Dabei müssen sie sich von jeder Instanz trennen und sie fliehen wollen, die ihnen eine höhere Allgemeinheit aufzunötigen versucht, als sie in ihrem spekulativen Empirismus, befangen in der Willkür von Individuen, wahrzunehmen fähig und bereit sind.

Wenn man dagegen den ernsthaften Bestrebungen William MacDonoughs logisch folgen will, dann lautet die kategorische Weisung Hegels (ganz anders als ihn Issing in seinen Aufsatz eingebaut hat) dazu:

»... es liegt nicht in der Willkür der Individuen, sich vom Staate zu trennen, da man schon Bürger desselben nach der Naturseite hin ist. Ein Staat muß ebendie Erlaubnis dazu geben, daß man in ihn trete oder ihn verlasse; dies ist also nicht von der Willkür der einzelnen abhängig, und der Staat beruht nicht auf Vertrag, der Willkür voraussetzt.«

Wenn der Augenblick herannahen würde, in dem das Management zur Abwendung oder Aufschiebung einer systemischen Finanzkrise in der Weltwirtschaft eben nicht genug Informationen oder faktische Zwangsmittel besitzt, um das Kollabieren zu verhindern, werden sich alle Mandarine, ob Bankiers, Bankenaufseher, Hedge-Funds-Spekulanten und kleinere Börsenjobber mit Heulen und Zähneklappen auf ebendie höhere allgemeine Instanz verlassen, die zuvor der Verachtung der Profiteure der »Globalisierung« anheimgefallen war, den souveränen Nationalstaat.

Der Staat, als Ebene der Krisenbewältigung für einen begrenzten Bereich, in dem für die kollabierenden Vermögen und Vertragsbeziehungen dann Schutz gesucht würde, hat gewiß nichts an Handlungsfähigkeit in der Konsens-Demokratie hinzugewonnen. Für dessen Zustand trifft das von Dr. Issing wiedergegebene Zitat eines anderen Fachmannes durchaus zu:

»Ein Grundzug der Konsens-Demokratie ist ihre Neigung zur Ignoranz bezüglich der Gesetze ökonomischer Logik, sprich: ihre Neigung zum Selbstbetrug. Man verteilt mehr als hundert Prozent dessen, was man erwirtschaftet, am leichtesten per Termin.«

Ganz nebenbei ein überaus treffender Aphorismus zur Kennzeichnung des Verständnisses der Börse von der realen Wirtschaft.

Doch bevor es soweit kommen könnte, daß vielleicht sogar ein Bundes- oder Eurobankbeamter, der sich in seiner Unabhängigkeit vom sich wie auch immer geltend machenden Willen des Souveräns oder eines Kanzlers mit anderen Staatsdienern unvergleichbar wähnt, sich an eine höhere Instanz als das jeweilige Direktorium seiner Kollegen wendet, ersucht der Chefvolkswirt (sic!) der Europäischen Zentralbank mehr oder weniger verbrämt, hier und da in seinen Ausführungen verstreut, darum, daß sich doch vielleicht der eine oder andere Diskursideologe zu den Ökonomen gesellen und ihnen dabei helfen möge, »... die Zustimmung derer zu gewinnen, die sich fälschlicherweise auf der Seite der Verlierer sehen.« Richtig eindringlich gerät ihm sein Schluß, in dem die Furcht vor der Vereinsamung des Bankaufsehers in der Ungemütlichkeit der »Globalisierung« und der »Ignoranz der Globalisierungsgegner« beinahe in einem Seufzer endet:

»Anders als im 19. Jahrhundert wird der Prozeß der Globalisierung heute von vielen Ländern getragen. Kulturpessimisten werden aber auch unter diesen Umständen den Rückfall in Kriege und Chaos nicht ausschließen.
Wie auch immer die Weltgeschichte weitergeht, für ein einzelnes Land wäre der Widerstand in der Tat zwecklos - verbunden mit hohen Kosten und letztlich ohne Aussicht auf Erfolg. Daher gilt es, die Ängste richtig zu deuten, falschen Propheten zu widersprechen und mit Argumenten zu überzeugen. Die Ökonomen können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Allein gelassen werden sie jedoch keinen Erfolg haben.«

Nun, der unvermeidliche Peter Sloterdijk, dessen Charakterisierung der provinziellen Zurückgebliebenheit Europas im Angesicht des »Gegenverkehrs« aus nicht-europäischen Weltteilen der Herr Dr. Issing mit Wohlwollen anführt, um zu zeigen, daß es auch »reaktionäre« Elemente im Unbehagen an der »Globalisierung« gibt, kann dem Chefideologen der EZB schon hier als überaus unzuverlässiger Verbündeter annonciert werden. In einem Gespräch mit Oskar Lafontaine auf den Brettern des Wiener Burgtheaters ließ der Adabei-Philosoph einige kluge Bemerkungen zur Schwankungsanfälligkeit der globalen Kapitalbewegungen wie zum Bewußtsein der möglichen Verlierer der »Globalisierung« fallen:

»In diesem Punkt ist auch die Philosophie kompetent, mitzureden, denn der berühmteste Scheinselbstständige aller Zeiten ist jenes »Subjekt«, von dem sich das moderne Denken so viel versprach. Doch zur Sache: Im Kapital selber erwächst dem Kapital der einzige historisch noch ernst zu nehmende Gegner. Die Widersacher sind das Spekulativkapital auf der einen und das Produktivkapital auf der anderen Seite. Wenn es der Sozialdemokratie nicht gelingt, das gesamte Produktivkapital und vor allem die Manager zu sozialdemokratisieren: ein Klassenbewusstsein der Manager hervorzurufen (was komisch klingt, denn Menschen, die Einnahmen in siebenstelliger Höhe versteuern, werden eine Weile brauchen, bis sie begreifen, dass sie auf derselben Seite der Barriere stehen wie diejenigen, die sich Sorge um ihre 630-Mark-Jobs machen) - wenn diese Sozialdemokratisierung nicht gelingt, wird es aussichtslos bleiben, das Wendemanöver herbeizuführen, das der wild gewordene Weltlauf sich selber seit langem schuldet.«

Es sieht ganz so aus, als müßten Ökonomen wie Herr Dr. Issing ihre Herkulesarbeit, die Laien von den Segnungen der »Globalisierung« zu überzeugen, in elender Vereinsamung verrichten. Dennoch wird ihnen vermutlich nur der Titanen Lohn zuteil werden.