Was verheißt uns die Globalisierung? - Teil 2

Versuch einer Beschreibung

von David Hartstein (15. Mai 1997)

Zur Erinnerung an den ersten Teil vom November letzten Jahres

Aus dem ersten Teil dieses längeren Referates zum Schlagwort Globalisierung sollte uns noch die atemberaubende Mitteilung in Erinnerung geblieben sein, daß 1994 nur 2% der täglichen (oder jährlichen) Devisenumsätze dem Güteraustausch und 10% für langfristige Kapitalverkehrstransaktionen (d.h. in der Regel: Sachinvestitionen) dienten; dagegen der ganze Rest des insgesamt auf über 2 Billionen US$ im Jahr 1996 geschätzten Devisenumsatzes überwiegend für Finanzspekulationen rund um den Globus dient. Derzeit, Stand Anfang 1997, ist der geschätzte Anteil des Welthandels mit Gütern auf 0,5% des gesamten Devisenumschlags geschrumpft.

Dieser globale, täglich durch die Zeitzonen wandernde Devisenumschlag, dessen »Finanzinstrumente« »Derivate« ( - Nach einer Definition eines Handbuchs von 1998 handelt es sich »um künstliche Finanzinstrumente, mit denen die Kurs- und Preis-Änderungsrisiken von Devisen, Zinsen im Einlagen- und Kreditbereich, Aktien oder anderer Indizes getrennt von sonstigen Risiken, wie Liquiditäts- und Bonitätsrisiken gesteuert werden.« Sie dienen den Geldkapitalanlegern der Theorie nach zum Schutz vor der Marktwirtschaft: »Mit den Derivaten kann man sich somit heute erstmals effizient vor ökonomischen Marktrisiken schützen. Denn über die Zinsderivate, vor allem über den Einsatz von Swaps, ist erstmals ein getrenntes Management von Zins-, Bonitäts- und Liquiditätsrisiken möglich geworden.« Nachtrag der Redaktion. - D.h. es sind von wirklichen, an Vermögens- bzw. Sachwerte geknüpfte Finanzierungen und Geldvermögensübertragungen abgeleitete Transaktionen) genannt werden, hat als »Kasinowirtschaft« gegenüber dem uns bekannten Spielkasino einen wesentlichen Nachteil: es gibt weder eine rigorose, mit Hausrecht verbundene Aufsicht im Kasino noch gilt der Grundsatz: »Die Bank gewinnt immer«. Es sind nämlich alle Teilnehmer »Banken«, und keiner der Teilnehmer weiß vom anderen, wieviel Barschaft (Liquidität) hinter seinem meist nur einen geringen Teil des tatsächlichen Einsatzvolumens ausmachenden Wetteinsatz noch zur Sicherheit (zum »Nachschuß«) zur Verfügung steht. - Dieser gesamte riesige globale Devisenumschlag wird nämlich nur zu einem geringen Teil überhaupt in den Bilanzen der Banken und Investmentfonds ausgewiesen.

Lediglich die Deutsche Bundesbank verlangt als Einäugiger unter den Blinden einen Monatsausweis über das Volumen der nichtbilanzlichen Geschäfte von den Banken, ohne das Recht und die Möglichkeit zu haben, diese Ausweise zu prüfen, wie das bei einer Bilanz möglich wäre. Das versteht man unter »Deregulierung«!

Eine Spielbank ohne Aufsicht, in der das Chaos erst dann fühlbar werden wird, wenn einem der Teilnehmer einmal die Liquidität ausgeht und zu viele andere Spieler mit diesem Teilnehmer Kontrakte eingegangen sind, die sie wiederum gegenüber Dritten verpflichten.

Beinahe wäre eine solche Katastrophe 1995 ausgerechnet in Japan ausgebrochen, dessen gesamtes Bankensystem damals kurz vor dem Kollaps stand und auch heute noch äußerst zerbrechlich ist. In jenem Jahr wurde Japan über die Zentralbank der USA stillschweigend mit 500 Milliarden Dollar Liquidität versorgt, damit die japanische Zentralbank die privaten Banken stützen und mit flüssigen Mitteln zu äußerst niedrigen Zinsen versorgen konnte.

Skizze der Geschichte des Weltwährungssystems nach dem Kriege

Wie schon im ersten Teil erwähnt, hatte diese Verselbständigung des Finanzkapitals in weltweitem Maßstab begonnen mit der ersten historischen »Deregulierung« nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich mit der Aufhebung des Abkommens von Bretton Woods und der Freigabe der Wechselkurse zwischen den nationalen Währungen, die bis dahin in einem festen Austauschverhältnis zum Dollar und damit zu allen anderen Währungen die Stabilität des Weltgüterhandels gewährleisten sollten.

Es kann sich ja wohl heute kaum noch jemand daran erinnern, daß einmal Besitz und Austausch von Devisen alleinige Aufgabe der Zentralbanken war und diesen Zentralbanken die Einhaltung der in Bretton Woods festgelegten Währungsparitäten sowie die Regulierung der Devisenmärkte oblag. Devisenaustausch bzw. die Devisenmärkte waren in der Zeit der Gültigkeit des Abkommens von Bretton Woods an den Waren- und Kapitalaustausch eng gekoppelt und stellten dessen Wertentsprechung dar.

Das Abkommen von Bretton Woods aus dem Jahre 1944, gemäß dem jede frei konvertible Währung im Welthandel in einem festen Austauschverhältnis zur Leitwährung US Dollar festgelegt war, dessen Wert wiederum in einer festen Relation zum Gold als letzter (Währungs-)Reserve vereinbart wurde, war, wenn man von den zur gleichen Zeit ins Leben gerufenen Institutionen Internationaler Währungsfond und Weltbank absieht, tatsächlich einmal eine der wichtigsten und wirksamsten Institutionen der Vereinten Nationen - so wie sie noch unter Roosevelt gegen Ende des Krieges entworfen worden waren.

Kein Land der Welt hat neben den Vereinigten Staaten so sehr aus diesem Währungssystem Nutzen gezogen wie die neugegründete Bundesrepublik, deren Wirtschaftswunder ohne den Export auf der Grundlage jenes Währungsabkommens nicht möglich gewesen wäre.

Lebensgefährliche Risse zeigten sich in diesem System ab dem Zeitpunkt, als mit der Bildung von Dollardevisenreserven bei privaten Banken der sogenannte Londoner »Eurodollarmarkt« entstand. Diese Dollarreserven, gehalten hauptsächlich von US-Banken, die sich dank der britischen Bankengesetzgebung der Kontrolle durch die amerikanische oder andere Zentralbanken entzogen, begannen, die Basis für einen Geld-, Anleihen- und Devisenmarkt in US Dollar zu legen.

Nach den Profitmaximen eines Geld- und Kreditmarktes begann in diesem Bereich nicht nur die Schöpfung von Kredit (mit entsprechenden Zinserwartungen), sondern auch von zusätzlichem Währungsgeld, nämlich in der Leitwährung US Dollar, dessen Volumen gegen Ende der sechziger Jahre so weit angewachsen war, daß es einen spekulativen Kampf mit den Devisenreserven mancher Zentralbanken aufnehmen konnte.

So geschah es, daß die »internationale Devisenspekulation« (d. h. die von privaten Banken gehaltenen Dollarvermögen) einmal gegen eine schwache Währung (das britische Pfund) spekulierten, um sich gegen den drohenden Wertverlust ihrer Pfundguthaben rückzuversichern, ein anderes mal gegen eine starke Währung (die D-Mark), um sich vor einem drohenden Wertverlust des Dollars oder anderer Währungen durch die Flucht in eine starke Währung zu schützen.

Höhepunkt der Verselbständigung dessen, was jetzt »internationale Finanzmärkte« genannt werden konnte, war eine zwei Jahre lang andauernde, immer wieder anbrandende Flut von Dollars, die bei den Zentralbanken der starken Währungen wie der D-Mark und dem Yen abgeladen wurden, bis eines Tages das Vertrauen in den Wert des Dollars so weit gesunken war, daß die immer wieder neu angepaßten festen Währungskurse gegenüber dem Dollar nicht mehr zu halten waren, weil dessen Wert weder von der tatsächlichen Ertragsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft noch dem Wert des amerikanischen Exports gedeckt war.

Es gibt aus dieser Zeit während der Präsidentschaft Richard Nixons zeitgenössische Berichte, wonach ausgerechnet die Bank einer der schwächsten Währungen der damaligen Zeit, die Bank von England, die amerikanische Federal Reserve Bank und die US-Regierung damit unter Druck setzte, daß sie, was theoretisch nach dem Abkommen von Bretton Woods möglich war und von den USA garantiert wurde, von den USA die Einlösung von Dollarforderungen gegen Gold aus Fort Knox forderte und damit dem Vertrauen in die Leitwährung Dollar den tödlichen Hieb versetzte.

In Panik geraten, zog die amerikanische Regierung daraus die verzweifelte Konsequenz und hob das Eintauschversprechen Dollar gegen (Währungs-)Gold auf, setzte den Umtauschkurs des Dollar gegen die wichtigsten Währungen außer Kraft und erklärte, daß der Kurs des Dollar gegenüber anderen Währungen nunmehr frei »floate« - daß sich also sein Kurs »frei« an den jeweiligen Devisenmärkten bilden könne. Das war im August 1971 und der logische wie geschichtliche Beginn der Globalisierung und all ihrer Deregulierungsfolgen.

Nunmehr galt eine kapitalistische Weltverfassung, die von einem Politikwissenschaftler der Harvard-Universität treffend derart beschrieben wurde:

»'Die Architekten und Verteidiger' der Nationen »... behaupten gewöhnlich, daß sich die politischen Institutionen des modernen Nationalstaates auf die Vertretung der Individuen entsprechend bürgerlicher Grundregeln, ... auf die Gleichheit der Bürger und gleiche Rechte (wenigstens für die bestimmende ethnische Gruppe) gründe.«

»Imperien sind anders«. ... »Mit Imperium meine ich eine Form der territorialen Organisation, bei der sich verschiedene Nationen oder ethnische Gemeinschaften um ein souveränes Zentrum gruppieren, das über die entscheidenden Machtmittel und Reichtümer verfügt.

Während eine Nation gewöhnlich behauptet, ihre Bürger nach dem Prinzip der Gleichheit zu repräsentieren, ist ein Imperium hierarchisch. Es geht ganz offen davon aus, daß eine politische Gruppierung tonangebend ist und die Wirtschaftsaktivitäten koordiniert ... Der Schlüssel für die erfolgreiche imperiale Kontrolle oder Koordinierung liegt in dem gemeinsamen Führungsinteresse der Eliten in den einzelnen Gebietsteilen, Imperien sind Herrschaftsformen, in denen sich die Eliten der Provinzen als Teil der herrschenden Klasse der gesamten Struktur empfinden. Imperien ... sind das Bestreben nach transnationalen Verknüpfungen innerhalb einer Völkerhierarchie.

Nach imperialer Wirtschaftstheorie »findet hochwertige Produktion im >Zentrum< statt, weniger hochwertige Produktion in der >Peripherie<; die imperiale Organisationsform schlägt eine politische Brücke über den Strom von Produkten, Investitionen, Profit und Arbeitskräften. Durch diese Organisationsform wird die Standortfixierung der Produktion und der Rechtsprechung aufgehoben, sie wird entterritorialisiert oder, wie es im heutigen Sprachgebrauch heißt, >globalisiert<.«

Von der Ölkrise zur monopolisierten Globalisierung

Das freie Floaten, d. h. der Versuch des Übergangs von der Aufkündigung des Abkommens von Bretton Woods zu gelenkten Wechselkursschwankungen mißlang vollständig. Bis zum Sommer 1973 fiel der Kurs des Dollars vor allem gegenüber der nun zur zweiten Reservewährung aufsteigenden D-Mark ins Bodenlose - so tief, daß vor allem die Ölmonopole mit den ihnen angeschlossenen Banken für ihr weltweites Ölgeschäft, dessen Grundlage der Dollar als Zahlungsmittel war und ist, um ihre Einnahmen und Vermögen fürchteten und daher einen Raubzug an den Vermögen aller Volkswirtschaften im Welthandel planten, an dessen Ende all jene Länder verarmten, die von Ölimporten abhängig waren und nicht genug Exporteinnahmen erzielen konnten, um steigende Ölpreise verkraften zu können.

Was heute als Ölkrise bekannt ist, war tatsächlich ein Raubzug der angloamerikanischen Ölmonopole und Banken, um nicht nur dem dramatisch gesunkenen Wert des Dollars neue Deckung zu verleihen, sondern darüber hinaus noch mehr Dollars aus den auf Ölimporte angewiesenen Volkswirtschaften anzusaugen, um sie auf den »internationalen Finanzmärkten als neues Geldkapital zu verwerten.

Die Ölkrise war geplant, ihr kam der Krieg zwischen Ägypten und Israel am Yom Kippur und die Mehrheit der Ölförderstaaten zu Hilfe. Aus dem Buch meines früheren Kampfgefährten William Engdahl »Mit der Ölwaffe zur Weltmacht« lassen sich hierzu aus dem Kapitel »Ein ungewöhnliches Treffen in Saltsjöbaden« zum Beleg einige durchaus spannende Skizzen zum Geschehen entnehmen:

»Der erste richtige dramatische Dollarsturz in der Nachkriegszeit erhitzte noch die Gemüter, da traf sich im Mai 1973 eine Gruppe von 84 Personen der Weltspitze von Finanzen und Politik auf einem abgelegenen Eiland. Es hieß Saltsjöbaden und gehörte der schwedischen Bankiersfamilie Wallenberg. Versammelt hatte sich dort Prinz Bernhards Bilderberg-Gruppe. Ein Amerikaner erörterte vor diesem Kreis ein >Szenario< , das von einem bevorstehenden Anstieg der Öleinnahmen der OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) um 400 Prozent ausging. Das geheime Treffen der Bilderberg-Gruppe war nicht etwa zu dem Zweck einberufen worden, um eine derartige Verteuerung der Weltenergieversorgung zu verhindern. Im Gegenteil, es bereitete den Ölpreisschock vor und erarbeitete Pläne, wie die erwartete Öldollar-<Flut< am zweckmäßigsten gehandhabt werden sollte. Henry Kissinger sprach in diesem Zusammenhang vom >Petrodollar-Recycling<.

...

1973 in Saltsjöbaden beschlossen die mächtigen Bilderberger einen gewaltigen Anschlag auf die Industriegesellschaften und ihr wirtschaftliches Wachstum. Oberstes Ziel dabei war, die ins Wanken geratene Vormachtstellung der anglo-amerikanischen Finanzinteressen wieder zu festigen und ihnen die Kontrolle über die weltweiten Geldströme zurückzugeben. Zu diesem Zweck griffen sie auf die altbewährte und immer noch scharfe Ölwaffe zurück.

Ihr Plan war sehr einfach. Ein globales Ölembargo sollte die Ölversorgung weltweit drastisch verknappen. Das würde die Weltölpreise dramatisch steigen lassen. Da die amerikanischen Ölgesellschaften den Weltmarkt seit 1945 fest in der Hand hatten, war es üblich geworden, die internationalen Ölrechnungen in Dollar zu fakturieren. Mit dem Ölpreis mußte also auch die Nachfrage nach US-Dollar ansteigen. Die steigende Nachfrage nach Dollar würde den Druck vom Dollar nehmen und seinen Wert stützen. Sie würde natürlich auch die Position derer stärken, die Dollar drucken und liefern konnten.

Niemals in der bisherigen Geschichte hatte ein so kleiner Kreis von Männern einen so tiefen Einschnitt in die Geschicke der Weltwirtschaft und der davon betroffenen Menschheit gewagt. Die Finanzgrößen in London und New York hatten beschlossen, ihre Ölmacht auf eine Art und Weise einzusetzen, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die Ungeheuerlichkeit ihres Vorgehen, so hatten sie kalkuliert, war dabei nur vorteilhaft.

...

Zur Beurteilung der Vorgänge um das Ölembargo, das den Preis für Rohöl erst um 70 Prozent und schließlich insgesamt um 400 Prozent anhob, ist ein anderer Aspekt der Sache nicht unerheblich: BP, Shell und andere anglo-amerikanische Ölkonzerne hatten hunderte von Millionen Dollar in die Entwicklung der Nordseeerdölfelder investiert, die ohne Kissingers Ölschock wohl kaum jemals Gewinn abgeworfen hätten. Ob das wohl reiner Zufall war?

Am 16. Oktober 1973 hatte sich die OPEC in Wien getroffen und den schwankenden Ölpreis von rund 3,01 Dollar pro Faß auf 5,11 Dollar, also um 70 Prozent, angehoben. Am gleichen Tag verhängten sie ein Ölembargo gegen die USA und die Niederlande, durch deren Tiefseehäfen Kontinentaleuropa mit Öl versorgt wird. Den Vorwand lieferte, daß diese Länder Israel im Yom-Kippur-Krieg unterstützt hätten. Saudi-Arabien, Kuwait, Irak, Libyen, Abu Dhabi, Qatar und Algerien beschlossen am Tag danach, ihre Produktion schon ab Oktober um 5 Prozent gegenüber der Förderung im September zu senken. In jedem folgenden Monat wollten sie die Förderung um weitere 5 Prozent senken, und dies so lange, bis Israel sich aus allen 1967 besetzten Gebieten zurückgezogen hätte und die von den Vereinten Nationen bestätigten Rechte der palästinensischen Bevölkerung wiederhergestellt wären.«

Hierzu eine kurze Anmerkung: Die Anhebung der Preise und die Senkung der Förderung durch die OPEC war ein Mittel zur Erhöhung der Ölpreise. Richtig wirksam wird eine Verknappung aber erst dann, wenn der Nachschub durch die Tankerflotten der »sieben Schwestern« eingeschränkt wird; schließlich kann niemand überprüfen, ob der fehlende Nachschub in Europa durch Förderkürzung oder Transportverzögerung verursacht wird.

In der Bundesrepublik wurde damals über vier Wochen hinweg ein Sonntagsfahrverbot erlassen. Während Daniel Cohn-Bendit mit Gefährten auf der Autobahn daher Fußball spielen konnte, stießen in der Nordsee vor Rotterdam Tanker zusammen, weil sie von den Ölgesellschaften zur »Bekräftigung der Verknappungsmaßnahmen« seitens der OPEC zurückgehalten wurden.

Weiter William Engdahl:

»Am 1. Januar 1974 traf sich die OPEC in Teheran erneut. Sie vereinbarte, den Ölpreis auf 11,65 Dollar pro Faß anzuheben. Das erstaunliche daran war, daß der Schah des Iran diese Forderung auf dem Treffen vortrug. Nur wenige Monate vorher hatte sich der Schah noch gewehrt, den Ölpreis auf 3,01 Dollar das Faß anzuheben. Er hatte befürchtet, die Ölverteuerung könnte die westeuropäischen Exporteure veranlassen, die Preise ihrer Industriegüter anzuheben. Diese Güter wurden aber zur Industrialisierung Persiens und anderer Entwicklungsländer dringend benötigt.

Der Schah verfolgte nämlich einen Plan zur industriellen Entwicklung des Landes. Aber die provokativ einseitige Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten für Israel hatte den Zorn der arabischen OPEC-Vertreter angeheizt. Dem konnte sich der Schah wohl nicht entziehen. Wieder war es Henry Kissinger gewesen, der dem Schah insgeheim die Forderung nach drastischer Ölpreiserhöhung nahegelegt hatte. Davon hatte Kissinger aber nicht einmal sein eigenes Außenministerium unterrichtet.

Zwischen 1949 bis Ende 1970 lag der Preis für Rohöl aus dem Nahen Osten relativ fest bei 1,90 Dollar pro Faß. Anfang 1973 stieg er auf 3,01 Dollar an. Dieser Preis vervierfachte sich nahezu bis Anfang 1974 und hielt sich damit recht genau an die Vorgaben des Bilderberg-Treffens in Saltsjöbaden, das bei seinen Gesprächen einen Preisanstieg von 400 Prozent zugrundegelegt hatte.

... Überall in Europa stürzten damals Regierungen über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Ölschocks. Mit ihnen gingen gewisse Grundorientierungen der Regierungspolitik.«

(Und, so möchte ich hinzufügen, die letzten Illusionen der ehemaligen Studentenbewegung über eine sozialistisch ausgerichtete Reformpolitik - es begann die Ära der Einschränkungen, der »Grenzen des Wachstums« und der »ökologischen« Umorientierung aller sozialen Bewegungen, die bis dahin der bundesdeutschen Linken zuzurechnen waren.)

»Am schärfsten allerdings trafen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ölschocks die Entwicklungsländer. Damals konnte man diese Länder noch mit einigem Recht >Entwicklungsländer< nennen, weil da und dort noch Fortschritte in Landwirtschaft und Industrieaufbau zu beobachten waren. Inzwischen spricht man von Ländern der sogenannten >Dritten Welt<. Die meisten dieser Länder wurden völlig unvorbereitet von der plötzlichen Verteuerung ihrer Energieversorgung um 400 Prozent überrascht. Die Verteuerung beschränkte sich ja auch keineswegs nur auf die Energieträger. Sie schlug auf nahezu alle Güter durch. Besonders empfindlich wirkte sie sich bei energieintensiven Gütern wie Düngemitteln, Baustahl und den Werkstoffen der chemischen Industrie aus.

...

1973 hatten viele Entwicklungsländer wie zum Beispiel Indien noch eine positive Handelsbilanz. Im Jahre 1974 schrumpften die Währungsreserven Indiens auf 629 Millionen Dollar. Dem standen noch offene Ölrechnungen über 1 241 Millionen Dollar gegenüber. Im Sudan, in Pakistan, auf den Philippinen, in Thailand, in Afrika und Lateinamerika - überall rissen Defizite aus den Ölrechnungen die Zahlungsbilanzen auseinander. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds erlitten die Entwicklungsländer allein im Jahre 1974 ein plötzliches Handelsdefizit von 35 Milliarden Dollar. Das war damals noch ein kolossal hohe Summe. Inzwischen hat man sich an solche Zahlen gewöhnt. Dieses 35-Milliarden-Defizit war genau - wen wundert`s? - viermal so groß wie das des Jahres 1973. Es wuchs im Gleichschritt mit den Ölpreisen.

...

Die gewerbliche Wirtschaft erlitt unter dem Ölpreisanstieg einen drastischen Schock. Er traf natürlich nicht die Finanz- und Ölwirtschaft. Diese, vor allem die Großbanken in London und an der Wall Street und die seither berühmten >sieben Schwestern<, das internationale Ölkartell, erlebten einen enormen Aufschwung. Der Ölmulti Esso (Exxon) verdrängte den Automobilriesen General Motors von der Spitze der einkommensstärksten amerikanischen Gesellschaften. Die Schwestern Mobil Oil, Texaco, Chevron und Gulf folgten mit geringem Abstand.

Die Masse des OPEC-Dollareinkommens, die Kissinger >recycled Petrodollars< nannte, floß auf die New Yorker und Londoner Großbanken, die mit Eurodollar handelten und den Ölhandel finanzierten. Chase Manhattan, Citibank, Lloyds, Midland Bank und wie sie alle hießen, sie alle blähten die neue Petrodollarflut zu bisher nie gekannten Umsätzen auf. Auf dem Wege des >Recycling<, der Umverteilung dieser Petrodollar, wurde nun die gigantische Schuldenkrise der achtziger Jahre in die Wege geleitet.«

Soweit Engdahl in »Mit der Ölwaffe zur Weltmacht«.

Fragen zur Globalisierung

Dieser längere Abriß der wirtschaftlichen Zeitgeschichte sowie die umfangreichen Zitate aus einem Buch, das viele dokumentierte Darstellungen zur Machtgeschichte des Weltmarktes enthält, erschien mir nötig, um die Entstehungsgründe der Globalisierung darzulegen.

Daraus wird auch deutlich, daß die Globalisierung, mit der heute jeder Tropf Verzweiflungsentscheidungen der politischen Klasse begründen zu können glaubt, keineswegs nur ein notwendiges Gesetz der Geschichte ist, gleichsam als hätte einer wie Marx das Gesetz der Geschichte gefunden.

Globalisierung läßt sich auch auf den kollektiven Willen einer oligarchischen Finanzelite zurückführen, die Mittel ihrer Macht zu wahren und zu mehren, auch wenn dahinter keinerlei wirtschaftliche oder produktive Werte stehen, sondern nur die fiktiven Werte in Mega- und GigaBytes, in denen die Zahlen gespeichert sind, mit denen die weltweite Kasinowirtschaft jongliert.

Globalisierung heißt vor allem die Entmachtung der nationalen Souveränität, die immerhin nach der Verfassungstheorie das unveräußerliche Recht der Träger jeden Gemeinwesens ist und vor allem in der Herrschaft über die physischen Gewaltmittel und die Währung, also die Geltung eines für alle verbindlichen Zahlungsmittels besteht. Diese Herrschaft ist bereits nahezu vollständig an die »internationalen Finanzmärkte« übergegangen und hat eine Ideologie des Neoliberalismus und Neomalthusianismus geprägt, die als Regieanweisung für die Akteure der Finanzoligarchie allgemeine Gültigkeit erhalten hat und die Verblendung bis hin zum Zusammenbruch des Finanzkartenhauses vollendet hat.