Auch Sir Heinz Alfred Kissinger ist ein 68er. Denn seit diesem Jahr hat er einem Weltpublikum vorgeführt, wie man dreist, und unverlacht, eine imperiale Dummheit nach der anderen in Wort und Schrift von sich geben kann. Er hat auch mindestens acht abscheulich lange Jahre vorgeführt, wie man, in realpolitischer Menschenverachtung, doch ungestraft, eine imperiale Dummheit nach der anderen begehen kann. Dies soll ja nach Macchiavelli schlimmer sein als Verbrechen zu begehen. Daß Sir Henry von allen solchen Untaten genug begangen hat, welche die Chronisten nur zu leicht geneigt sind, letztlich in die »richtige« Anwendung von Macchiavelli zu rubrizieren und damit beinahe auch noch diesem Autor zuzurechnen, weiß jeder Zeitzeuge zur Genüge. Neu ist allerdings, daß Aussichten bestehen, Sir Henry als den Jago Richard Nixons, der eigentlich nie einen solchen Einflüsterer benötigte, den auch heute noch jederzeit bereiten Hof-, Kabinetts- und »Sicherheits«rat für die Untaten zur Rechenschaft zu ziehen, deren Mitwisser und Anstifter er in Ämtern, in die er nie gewählt worden war, nachweislich gewesen war und ist. Einige Leute mit Spürsinn und »investigative skills« scheinen erste Erfolge mit dem Unterfangen zu erringen, der noch heute für 30.000 US$ je Auftritt spekulativ überbewerteten Heuchel- und Meuchelfigur der Zeitgeschichte die Taten und Untaten zuzurechnen, die zu verurteilen durchaus nicht nur die Urteile der »Geschichte«, sondern der Gerichte zuständig sein müßten, wenn denn die Grundsätze des Nürnberger Gerichtsverfahrens eine dauerhafte Institution in Rechtsbewußtsein und Rechtsprechung des internationalen Rechts hinterlassen hätten. Mit einer internationalen Judikatur freundet sich aber kaum ein souveräner Staat an - außer es geht um Fälle von Siegerjustiz, wie neuerdings bei der Bestrafung des gestürzten jugoslawischen Staatspräsidenten, dessen Ausnahmemachtstellung wie verbrecherischer Machtausübung insbesondere die europäische Diplomatik ein Jahrzehnt lang Vorschub geleistet hatte. Das Problem der Zurechenbarkeit: der Autorschaft von Gedanken, mehr noch ihrer Heranbildung zu einer Willenshandlung und die individuelle Verantwortung für die Ausführung von Willen und Entscheidungen ist ein Feld, das zwar nicht von internationaler Gerichtsbarkeit beackert wird, dennoch aber erkennbar ist; so wie jede Erkenntnis in der Geschichte der Menschen eine individuelle ist und im Individuum entsteht und sich entfaltet. An anderer Stelle haben sich die Studien schon vor Jahren mit dieser Frage auseinandergesetzt an einem Beispiel, in dem zuletzt sich der Verfasser einer Erkenntnis zu erkennen gab.
In Harper`s Magazine hat sich Christopher Hitchens in einem Bericht unterfangen, alle Beweise zusammenzutragen, die zu Anklagen gegen Sir Henry Kissinger wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Entführung und Anstiftung zum Mord hinreichen könnten - wenn es für diese Verbrechen einen Gerichtshof gäbe. Hitchens` Case Against Henry Kissinger ist das Ergebnis gründlicher und einfallsreicher Nachforschungen, die sich trotz der anmaßenden und die Akten der Öffentlichkeit versperrenden Vorkehrungen Kissingers im Verfolg der Wahrheit aus den Urkunden anstellen und zu vor Gericht überprüfbaren Behauptungen und Zurechnungen resümieren lassen.
Daß dieser Versuch unausweichlich hat kommen müssen, hat der Verfasser der kurzen Skizze zum Leben Andre Gunder Franks (auch er ein Betroffener von Kissingers Realpolitik) wohl vorausgesehen und vielleicht herbeigewünscht, insbesondere nachdem in Chile die Phalanx der Meuchelmörder durch das senil-feige Verhalten des einstigen Diktators Pinochet in den wenigen trotz seines Gesundheitszustandes zustandegekommenen Vernehmungen zusammengebrochen war:
»... ( - das US State Department und die CIA werden uns mit der Freigabe von immer mehr Akten aus dieser Zeit, eine von Präsident Clinton veranlaßte Maßnahme, für die er alle Achtung verdient, darüber noch eingehend unterrichten - ) ...«
http://www.studien-von-zeitfragen.de/Thema%20Asien/reOrient/Gunder_Frank/gunder_frank.html
Unter all den Entdeckungen, an denen uns Hitchens teilnehmen, indem er seine Vorgehensweise auch eingehend nachvollziehen läßt, ist diejenige atemberaubend, in welcher er von der geheimen Diplomatik des Nixonschen Wahlkampfstabes berichtet: Mit Hilfe der »leaks« der Quelle Kissinger, der dem Sicherheitsstab Präsident Johnsons als sozusagen assoziiertes Mitglied angehörte, wurde das Lager Nixons darüber unterrichtet, was die Johnson-Administration als Ergebnis und während der Verhandlungen mit den beiden vietnamesischen Parteien plante. Wir erinnern uns: in diesem Spätherbst 1968, dem die letztlich gescheiterte Tet-Offensive im Frühjahr vorangegangen war und in dem der Krieg in Vietnam in jedem Winkel der Erde die Menschen beschäftigte, fanden die ersten Friedens- oder mindestens: Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den Kriegsparteien statt; da hatte noch niemand etwas von einem Henry Kissinger gehört. Unterdessen bereitete sich die Regierung Johnson auf einen Bombardierungsstopp zur Erleichterung sowohl der Waffenstillstandsverhandlungen als auch der Aussichten des Kandidaten Hubert Humphrey bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen vor. Und von genau diesen Absichten wurde Richard Nixon auf konspirativen Wegen unterrichtet, von niemand anderem als Henry Kissinger. Worauf hin es Nixon über seine ebenfalls geheimen und illegalen Kanäle zur südvietnamesischen Delegation und deren plötzlich zum Vorschein kommende Hartleibigkeit bei den Pariser Friedensverhandlungen gelang, den Abschluß eines Waffenstillstandes zu hintertreiben. Hitchens schreibt dazu nur lapidar: »Der Logan Act verbietet es rundweg jedem Amerikaner, mit einer fremden Macht Privatdiplomatie zu betreiben.«
Genau eine solche geheime Diplomatik hat Nixon mit Kissinger und anderen Komplizen betrieben. Sein späterer Jago, von der Mittelmäßigkeit in Harvard zum Sicherheitsberater des ruchlosesten Präsidenten nach Theodore Roosevelt aufgestiegen, hat dann, von dem Wahn der imperialen Eitelkeit vollends erfaßt, die Technik der »leaks«, als Knochen für ausgewählte Hündchen aus der Pressemeute, zu solchem Exzeß getrieben, daß es ihm später leichtfiel, seinen selten verläßlichen Einweihungen von Journalisten noch gar seinen viel weniger verläßlichen »offiziellen« Verlautbarungen auch noch die tolldreisten Memoiren der »White House Years« folgen zu lassen. - Während uns Hitchens eher ohne Fanfare einleitend eröffnet, daß dieses »Geheimnis von 1968« in ganz Washington bekannt ist, gleichsam als ein »purloined letter« von Edgar Allen Poe, nichtsdestotrotz nie jemand darüber offen und ausführlich geredet hat, müßte man sich hier in Deutschland fragen, wieviele intelligente Zeitgenossen hinter dieses Geheimnis gekommen waren? Wäre nicht da ohnehin im gleichen Atemzug anzumerken, daß in deutschen Blättern nie jemand ein solches Geheimnis offenbart hätte: Wo kämen wir denn hin, wenn Washingtoner Korrespondenten deutscher Qualitätszeitungen ihre eigene Einsicht (und nicht die des politischen Konsenses des Washingtoner Presskorps) nach Deutschland berichtet hätten.
Die Bände selbstkumulativer »Geschichtsschreibung« des H. A. Kissinger sind immerhin seinem Mentor Nelson Rockefeller gewidmet, aber auch der wird nicht gewußt haben, was an diesen »Berichten« Fortsetzung der Realpolitik mit anderen Mitteln, ein Quentchen echter Geschichtsschreibung oder gar unverfälschter Kissinger sein mag. Echt und authentisch an diesen Bänden ist selbstredend nur der Autor in seiner scheinbar grenzenlosen Eitelkeit und Wandelbarkeit als Versuch, sich selbst als die Inkarnation des imperialen Willens zu inszenieren: Heinz Alfred Kissinger, der Auswanderer aus Fürth im deutschen Franken, der, mit nur wenig mehr als Eitelkeit und dem unerschöpflichen Vermögen zur Selbstreferenz begabt, es der mächtigen Nation der Amerikaner bis hin zu ihrem ohnehin schon zu allem fähigen Präsidenten zeigt, wie man die Macht eines Imperiums gebraucht und, wenn »realpolitisch« geboten, mißbraucht.
Aber auch diese Figur hat sich nicht selbst erschaffen. Auch diese scheinbare Reinkarnation der Diplomatik des alten Europa hatte seine Meister. Bei den richtigen Leuten, den Zuhörern im Royal Institute of International Affairs am Londoner St. James Square, hat er vor beinahe 20 Jahren in einem Vortrag seine Schulung zusammengefaßt:
»Unsere diplomatische Nachkriegsgeschichte ist von anglo-amerikanischen Abkommen und Verständigungen durchzogen, die manchmal ganz entscheidende Gegenstände betrafen, die sich aber niemals in schriftlichen Dokumenten niederschlugen. Dir Briten waren dabei tatsächlich so hilfreich, daß sie an den internen amerikanischen Überlegungen beteiligt wurden, und das in einem Maße, wie es wohl nie zuvor zwischen zwei souveränen Staaten praktiziert worden war. Während meiner Amtszeit spielten die Briten in einigen bilateralen Abkommen die Schlüsselrolle. Während ich im Weißen Haus arbeitete, hielt ich das britische Außenministerium besser informiert und in den Entscheidungen enger eingebunden als das amerikanische Außenministerium.«
Als Beispiel dafür gab er an:
»In meinen Verhandlungen über Rhodesien ging ich von einer britischen Vorlage mit britischer Schreibweise aus, wobei ich den Unterschied zwischen einem Arbeitskonzept und einem vom Kabinett verabschiedeten Dokument nicht ganz erfaßte. Diese Art von Zusammenarbeit erstreckt sich bis in unsere Tage.«
So in: »Reflections on a partnership: British and American Attitudes to Postwar Foreign Policy, Address in Commemoration of the Bicentenary of the Office of the Foreign Secretary,« May 10, 1982, Royal Institute of International Affairs (Chatham House), London.
Im selben Chatham House, wo sich in aller Diskretion und Verschwiegenheit die Herrschaften des »Empire« treffen, das heute als Commonwealth firmiert und wie stets heldenhaft gegen seine eigenen zentrifugalen Tendenzen ankämpft, an diesem distinguierten Ort hat unlängst im Januar Sheikh Ahmed Zaki Yamani einem ausgewählten Auditorium noch einige Einzelheiten über Henry Kissinger und die historische Ölkrise von 1973/74 dargelegt, die manch einen auch heute noch durchaus aufhorchen lassen. Der ehemalige Ölminister von Saudi-Arabien, in den siebziger Jahren spiritus rector der OPEC, die seit diesen Jahren in den wohlhabenden Ländern der OECD immer wieder als der Leibhaftige porträtiert wird, sprach später dem Observer in einem Interview folgendes aufs Band:
»Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, daß die Amerikaner hinter der 100%igen Ölpreiserhähung steckten. Die Ölkonzerne waren damals in erheblichen Schwierigkeiten, sie hatten eine Menge Geld geborgt und benötigten zu ihre Rettung einen hohen Ölpreis.«
Er sagte, er war davon überzeugt angesichts der Haltung des Schahs von Iran, der sich an einem entscheidenden Tag im Jahr 1974 von der Sicht der Saudis absetzte, die darauf hinauslief, daß eine Anhebung der Förderpreise für die OPEC gefährlich wäre, weil sie die USA vor den Kopf stoßen würde. Im Gegensatz dazu befürwortete der Schah nun höhere Preise.
Yamani: »König Feisal sandte mich zum Schah von Iran, der zu mir sagte: >Warum sind Sie gegen einen Ölpreisanstieg? Ist das nicht das, was sie wollen? Fragen Sie Henry Kissinger - er ist es, der der höhere Preise haben will.<«
Yamani behauptet, daß der Beweis für diese lange gehegte Überzeugung vor kurzem aufgetaucht ist, und zwar in Protokollen von einer Geheimtagung auf einer schwedischen Insel, wo Amtsträger aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten (darunter selbstredend auch H. A. K.) sich auf das Drehbuch für eine 400%ige Ölpreiserhöhung verständigten.«
(Nachzulesen in The Observer vom 14. Januar 2001)
Wir wissen nicht, ob sich Henry Kissinger in seinem Vortrag bei den Zuhörern des RIIA auch für diese Glanztat der Nötigung des Schah von Iran, dessen Exilschicksal er dann einige Jahre später nicht gerade gedeihlich und behaglich zu gestalten übernahm, gerühmt hat.
Nach solchen selbst-schulterklopfenden Aussagen konnte freilich der Schulterschlag zum Sir nicht ausbleiben! Was schert dabei einen Einwanderer aus Fürth, der noch nie die Verfassungsinstitutionen eines anderen Landes beachtet hat, eine solche Petitesse in der Verfassung der Vereinigten Staaten wie die in Section 10: »No title of nobility shall be granted by the United States; and no person holding any office of profit or trust under them, shall, without the consent of the Congress, accept of any present, emolument, office, or title, of any kind whatsoever, from any king, prince, or foreign state«?
Scheint nicht Kissinger Associates, dieses »Gewerbe« zur Fortsetzung der Verwertung arkanen Wissens mit profitablen Mitteln, einzig wie zur Verhöhnung jenes Satzes aus der amerikanischen Verfassung von Sir Henry gegründet worden zu sein? Auf jeden Fall gehört es zum Kerngeschäft dieses Unternehmens, Machthaber bei der Verfolgung von Zielen zu beraten, die sie einstweilen noch mit »sovereign impudence and impunity« begehen mögen. Doch Christopher Hitchens hat die Frage gestellt, ob ihnen dabei noch lange der Nießbrauch der »sovereign immunity« gewährt werden wird:
»Wir sind indessen in ein Zeitalter eingetreten, wo die Verteidigung »souveräner Immunität« nicht mehr als gültig angenommen wird. Wie ich im weiteren zeigen werde, hat Kissinger diesen entscheidenden Wandel verstanden, viele seiner Kritiker dagegen nicht. Die Entscheidung des britischen »Herrenhauses« zur internationalen Relevanz der Verbrechen des Generals Augusto Pinochet, hat in Erweiterung des hervorragenden Tatendrangs des spanischen Ermittlungsrichters und der Urteile des Internationalen Tribunals in Den Haag den Abwehrschild zerstört, der Verbrechen unter der Rechtfertigung der Staatsräson bisher abschirmte. Es gibt keinen Grund mehr, der einem Haftbefehl bei irgendeiner Ermittlungsgerichtsbarkeit im Wege steht, und auch keinen Grund mehr dafür, einen solchen Haftbefehl nicht zu befolgen. In der Tat ist bei einer Reihe von Gerichtsinstanzen derzeit, während dies geschrieben wird, das Recht bereits auf dem Weg, zu den Beweisanzeichen aufzuschließen. Und nach wie vor liegt uns die Präzedenz von Nürnberg vor, an die sich die Vereinigten Staaten feierlich als gebunden erklärt haben.«
Wenn diese Bindung an die Grundsätze des Nürnberger Gerichtshof für die Verantwortlichkeit eines Henry Kissinger Gültigkeit haben soll, bisher aber nur von Siegern auf die Besiegten angewandt worden ist, müßte dann nicht zuerst eine ganz andere Art von Grundsätzen im Verhalten der souveränen Nationalstaaten untereinander über das Axiom der Politik zwischen den Staaten obsiegen, das Heinz Alfred Kissinger zu den Gipfeln des Verbrechens und der Selbstvergötterung als Sir Henry Kissinger emporgetragen hat? Da dies ein rein empiristisches Prinzip ist, das als Gesetz nur akzeptiert, womit man durchkommt (i. e. Realpolitik), kennen wir nur den Gegensatz - und den hat zumindest für die Vereinigten Staaten bislang unerreicht kurz und deutlich John Quincy Adams formuliert:
»Wherever the standard of freedom and Independence has been or shall be unfurled, ... there will be her heart, her benedictions and her prayers be.
But she goes not abroad, in search of monsters to destroy. She is the well-wisher to the freedom and independence of all. She is the champion and vindicator only of her own. She well knows that by once enlisting under other banners than her own, were they even the banners of foreign independence, she would involve herself beyond the powers of extrication, in all the wars of interest and intrigue, of individual avarice, envy, and ambition, which assume the colors and usurp the standard of freedom.«