Der Zehn-Punkte-Plan Helmut Kohls vom November 1989 sah die Bildung konföderativer
Strukturen zwischen der Bundesrepublik und der DDR vor. Nur hier findet sich Helmut Kohls
öffentlich bekundetes Bestreben und Wollen ein einziges Mal im Einklang mit einer
geschichtlichen Bewegung, die Wahrheit und Freiheit zum Vorschein kommen ließ. Alle
sonstigen (kleineren) Verdienste, dessen dieser zähe und gelassene Sitzriese nach seinem
noblen Abgang nunmehr gerühmt wird, sollten gegen das Prinzip gehalten werden, nach dem
dieser Mann 25 Jahre die deutsche christliche Demokratie und 16 Jahre lang die deutschen
öffentlichen Körperschaften geprägt hat: (PGS: 30. September 1998)
Verdrängung durch Zuversicht - der unbewußte Plan des
öffentlichen Menschen Kohl und eine Kette von
Versäumnissen
- Dieser Kanzler hat es 16 Jahre lang vermocht, die stets steigende Arbeitslosigkeit als
gegeben und unabwendbar hinzunehmen und auszusitzen, während er unablässig vom
»Kampf gegen die Arbeitslosigkeit« tönte. Darin und in der sich damit einstellenden
Gleichgültigkeit aller bestand die geistig-moralische Wende für die Moral in der
Bundesrepublik Deutschland.
- Dieser Kanzler zusammen mit seinem Generalsekretär Geissler hat zugelassen, daß die
Partei der Grünen ins arithmetische Kalkül der Machterhaltung und Kräftebalance einbezogen
wurde (»rot-grünes« Lager). Die Verankerung der grünen Ideologien als gesellschaftlicher
Block sowohl in Bürokratie als auch Gesetzgebung verdankt sich nicht nur den
Fehlentscheidungen Willy Brandts Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre mit der
Folge der Vergrünung der Sozialdemokratie, sondern auch dem Opportunismus der
christlich-demokratisch geführten Regierung, die der nicht nur »postindustriellen«, sondern
gegenindustriellen veröffentlichten Meinung aus Bequemlichkeit nachgab, während sie die
grüne Partei als totes Gewicht an und in der sozialdemokratischen Partei zu vergrößern
mithalf.
- Dieser Kanzler hat nie auch nur einen Augenblick geistiger Anstrengung darauf verwendet,
Wirtschaft und Finanz so weit zu verstehen, daß er hätte sachlich notwendige und logische
Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik selbständig treffen können. Er hat die Wirtschaft
gewähren lassen und seinem Auftrag, die Richtlinien aller Politik zu bestimmen, nur insoweit
entsprochen, als er der Beratung seines kundigsten Freundes, Alfred Herrhausen gefolgt ist,
solange dieser lebte.
- Noch vor der Wahl hat Hannelore Kohl bekundet, daß der Mord an dem Freunde Herrhausen
sie persönlich am tiefsten getroffen habe. Das kann man getrost auch für Helmut Kohl
unterstellen. Dennoch hat er, wie auch später nach dem Mord an Detlev Karsten Rohwedder,
nichts unternommen, um seinem Innenminister Schäuble und dem ihm unterstehenden
Sicherheitsapparat als allerdringlichsten Auftrag vorzuschreiben, diesen Mord lückenlos und
endgültig aufklären und ahnden zu lassen. Für seine Fähigkeit, das Kanzleramt intelligent
auszuüben, war das der schwerste Verlust. Von den Mördern war dieser Verlust beabsichtigt.
Und diese absichtlich herbeigeführte Schwächung seiner Fähigkeit zu Führung hätte von
seiten des Kanzlers eine unnachsichtige, mit allen krimininalistischen, geheimdienstlichen
und rechtsstaatlichen Mitteln verfolgte Sühne verlangt. Vor dieser Probe seines Mutes und
seiner Fähigkeit, um mehr zu kämpfen als nur das Recht, den ewigen Vorsitz zu führen, ist
Helmut Kohl ausgewichen.
- Der Parteipolitiker Kohl war vom Beitrittsbegehren der DDR-Bevölkerung ins D-Mark-Land so
mitgerissen, daß er der zeitweiligen Geldgier der sparenden und verdrängenden Klasse der
DDR nachgab und den DDR-Bürgern eine D-Mark für ihre eine bzw. zwei Ostmark zum
Tausch gab, obwohl die Leistungsfähigkeit des dem Volk der DDR gehörenden
Produktionsapparates nur einen Bruchteil dieses Wertes betrug. Es handelt sich vom Westen
aus gesehen um eine widerrechtliche Vermögensübertragung, zu der selbst der Kanzler nicht
berechtigt war, vom Osten aus gesehen um eine Abwertung des Produktions- zugunsten des
Geldvermögens vom Beginn der Währungsunion an.
- Dieselbe Souveränität über die Währung und damit das Produktiv- wie Geldvermögen, die er
sich mit der Festlegung des Umtauschkurses von 1:1 angemaßt hatte, hatte er zuvor auf den
Druck seines Staatsfreundes Mitterand hin aufgegeben, als er der Einführung der Wirtschafts-
und Währungsunion unter den damals noch von Frankreich diktierten Bedingungen
zustimmte.
- Die Erlangung der Souveränität für ein neu geeintes Deutschland hatte, wie die
»Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes« belegt, zwei Einschränkungen
derselben Souveränität zur Voraussetzung: die bedingungslose Durchsetzung nicht nur des
Fortbestandes der NATO, sondern auch den käuflichen Erwerb der Zustimmung der
Sowjetunion zum Verbleib des erweiterten Deutschlands im nordatlantischen Bündnis. Was
Ludendorff 1918 in Brest-Litowsk mit dem Druck der Divisionen gelang, schaffte Kanzler Kohl
mit der Lockung von Milliarden. Daß Rußlands Staat heute nicht nur bankrott, sondern auch
durch den Raubkapitalismus verkommen ist, hat auch in dem Tausch NATO gegen Geld
seine Ursachen.
- Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher haben während ständiger und enger
Konsultationen mit der amerikanischen Regierung Bush im Rahmen der
Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über Deutschlands Vereinigung nicht nur zugelassen, daß
Präsident Bush freie Hand erhielt, mit einem High-Tech-Massaker den Irak von der Stufe
eines durch Krieg geschwächten industrialisierten Schwellenlandes in ein Land
zurückzubomben, das danach weder eine hinreichende Nahrungsmittelversorgung noch eine
für industrielle Entwicklung grundlegende Infrastruktur besaß. Für das Abschlachten auch der
Zivilbevölkerung durch einen Bombenterrorkrieg, der noch das übertraf, was Deutschlands
Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg zu erleiden hatte, hat Helmut Kohl der amerikanischen
Regierung Milliarden angeboten - mehr als diese gefordert hatte - und gezahlt, weil es der
Bundesrepublik selbst nicht erlaubt war, auf die arabische Halbinsel Soldaten zu schicken.
Von Helmut Kohls Regierung hat man damals bis heute auch nie eine öffentliche Frage oder
Erwägung gehört, ob dieser lange geplante Krieg gegen den Irak gerechtfertigt war, wiewohl
die Tatsachen und Ereignisse, die zu diesem Krieg der USA geführt hatten, bereits vor
seinem Beginn bekannt waren und seine Rechtfertigung darum mehr als fragwürdig war.
- Helmut Kohl hat im Verein mit seinem Nachfolger Schäuble zugelassen, daß die
Verblendungen des neoliberalen Extremismus der F.D.P. den Kurs der Regierung so weit
bestimmen konnten, daß in Verbindung mit den Selbsteinschränkungen und
Selbstverpflichtungen des Vertrages von Maastricht die überkommene Massenverankerung
der CDU wissentlich (und womöglich auch willentlich) zerstört wurde. Von diesem
grundlegenden Kurswechsel her datiert der Niedergang der CDU. Die auf Druck von FDP und
kapitalistischen Verbandsbürokraten beschlossene Beschneidung der Lohnfortzahlung und
die Welle des Arbeiterprotestes direkt gegen deren Verfasser im Unternehmerlager markieren
den Beginn des Verlustes jener Massenmehrheit, die am Sonntag Gerhard Schröder
zugefallen ist.
- Helmut Kohl ist (für den deutschen Teil) allein verantwortlich für die Herbeiführung
des
Monstrums von Maastricht und damit auch mitsamt all denen, die er zur Zustimmung
gedrängt hat, für die Folgen, die sich aus den völkerrechtlichen Beschränkungen der
Handlungsfähigkeit einer deutschen Regierung mit Einführung des EURO ab Anfang
nächsten Jahres fühlbar machen werden. Er ist allein verantwortlich, weil er nach der Devise
»Verdrängung durch Zuversicht« darauf verzichtet hat, die Ansichten des deutschen Volkes
zur Aufgabe der nationalen Währung (und Souveränität) zu hören und dessen Willen in einem
Volksentscheid zur Geltung kommen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihm bei
dieser äußersten Überdehnung seiner Richtlinienkompetenz geholfen, während der stets
willige Opportunismus der halbamtlichen politischen Klasse im Bundestag aus Mangel an
Übersicht und Einsicht dem stets zuversichtlichen Bundeskanzler fahrlässig seine
Zustimmung gab.
Zu diesem letzten Punkt sind einige Anmerkungen nötig.
Beschluß vom 31. März 1998
Mit seinem Beschluß vom 31. März hat das Verfassungsgericht einen Weg gefunden, sich als für
die Einführung des Euro am 01. Januar 1999 nicht verantwortlich zu erklären.
Gegen die schwerwiegenden Bedenken, die Karl Albrecht Schachtschneider in seiner
staatsrechtlichen Begründung vorgebracht hatte (Siehe »Verantwortung des
Bundesverfassungsgerichtes für das Recht in Deutschland« in Die Euro-Klage, Seite 284) und
die sich letztendlich auf die im Hauptteil der Klage dargelegte Wirtschaftsprognose stützt,
obgleich sie die Legitimation des Bundestages und der Regierung, der Einführung des Euro
zuzustimmen, (aber auch nur) aufgrund dieser Prognose grundsätzlich in Zweifel zieht, verwirft
das Verfassungsgericht gerade diese Prognose (die die Zerstörung der grundgesetzlich
garantierten Sozialordnung voraussieht!); gleichzeitig räumt aber das Gericht der Regierung und
dem Parlament einen »Prognosespielraum« ein. In Abschnitt c) der Zurückweisung der
Verfassungsbeschwerde hält das Gericht fest:
Die Beschwerdeführer verkennen aber die Reichweite des grundrechtlichen
Anspruchs, wenn sie unter Berufung auf Art. 14 GG die politisch verantwortlichen
Organe verpflichten wollen, die Stabilität der Europäischen Währungsunion anders
abzusichern und den Beginn dieser Union zu verschieben. Soweit Bundesregierung
und Parlament ökonomische Daten zu prüfen und zu bewerten, Entwicklungen zu
beobachten und in ihrem weiteren Verlauf einzuschätzen, sodann eine
Einzelprognose für teilnahmewillige Mitgliedstaaten und eine Gesamtprognose für die
Stabilität der geplanten Währungsunion zu treffen, schließlich auch auf die rechtliche
Konvergenz in der Gemeinschaft und in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
hinzuwirken haben, können die dabei zu treffenden Entscheidungen nicht nach dem
individualisierenden Maßstab eines Grundrechts beurteilt werden. Sie sind von den
politischen Organen zu verantworten, die für eine Gesamtbeurteilung allgemeiner
Entwicklungen zuständig sind und ihre Entscheidungen entwicklungsbegleitend
überprüfen und korrigieren können.
Dies heißt aber, daß sich das Verfassungsgericht gerade dem Kern der Argumentation, auf der
die Verfassungsbeschwerde aufbaut, nicht stellt, nämlich einer vernichtenden Prognose, die in
aller Deutlichkeit die Gefahren aufzuzeigen versucht hatte, die nach einem Beginn der
Währungsunion nicht mehr abgewendet werden können.
Nun ist es nicht die Aufgabe des Gerichtes, in eine ökonomische Diskussion oder in Erwägungen
ökonomischer Risiken einzutreten. Aber ein Aufgreifen der Argumente und damit eine
Gewichtung der Beschwerde gegenüber dem Routineoptimismus der politischen Klasse wäre
geboten gewesen, um die Parlamentarier auf das gewaltige Gewicht ihrer Verantwortung
aufmerksam zu machen.
Stattdessen ist das Gericht auch nur im Rahmen der Routine verblieben und hat sich darauf
zurückgezogen, Regierung und Gesetzgeber ihre Verantwortung zuzuweisen und sich jeder
irgendwie gearteten Intervention zu enthalten - was zwar in diesem Fall der Gewaltenteilung
durchaus Genüge tut, dafür aber die verantwortliche Stellungnahme oder wenigstens die
Erwähnung, nicht die Wertung zu den Warnungen der Beschwerdeführer ungerührt an sich
vorbeigehen läßt.
Ein Fazit:
Die von Wilhelm Hankel in der Euro-Klage von Schachtschneider, Nölling, Starbatty und Hankel
vorgetragene Wirtschaftsprognose zu den Folgen nach Einführung des Euro kann nach den
katastrophischen Vorzeichen einer Endkrise des Weltfinanzystems unter den Voraussetzungen
der globalen Richtungslosigkeit der Kapital- und Finanzbewegungen und der Aufgabe von
Steuerungskompetenzen und -legitimationen durch verfaßte Gemeinwesen nurmehr als
Verharmlosung gelesen werden, die der Verfasser nicht beabsichtigt hatte. Gleichwohl sind die
Entwicklungen weit über seine Voraussicht hinausgeschossen und werden als Sturzflut auch in
Europa noch weit über seine dunkelsten Ahnungen hinausschießen.
Und hier darf nicht vergessen werden, daß das oberste Verfassungsorgan es den
prognostischen Fähigkeiten des Mannes, der die Richtlinien der Politik in der Bundesrepublik
Deutschland bis zum 27. September bestimmt hat, überließ, über die Legitimität der
Übertragung
von Hoheitsrechten (und das ist die Aufgabe des souveränen Rechtes auf Ausgabe und
Kontrolle der Währung) an zwischenstaatliche Körperschaften frei und verantwortlich zu
entscheiden.
Als wie wirk-lich sich die Prognosefähigkeiten des Kanzlers Helmut Kohl und seiner
Mehrheitsgefolgschaft im deutschen Parlament erweisen wird, werden die Deutschen und
Europa bald erleben. Einstweilen läßt Kohls prognostische Methode der Verdrängung aus und
durch Zuversicht den Zusammenbruch Europas gewiß erscheinen.