Ein Krieg, geführt vom »Iron Mountain« - Vietnam 1945 -1975

Den Blick zurück verstellt noch vieles: die Vereinigten Staaten von 1975 - 2000

Wenn die zentrale These einer Neuerscheinung in den USA wie »The American Tragedy. Kennedy, Johnson, and the origins of the Vietnam War«, daß nämlich John F. Kennedy Amerika vor dem Krieg gerettet hätte, wenn er nicht von einer Kugel in Dallas niedergestreckt worden wäre, als romantische Verklärung verworfen wird; wie würde dann wohl in den USA ein Buch aufgenommen wie das von Donald Gibson, der in seinem Buch »The Kennedy Assassination Cover-Up« auf Grund eingehenden Studiums des politischen Denkens und Handelns des Politikers John F. Kennedy seit seiner ersten Wahl in den Senat bis hin in die letzten Tage vor seinem Tode nachweisen kann, daß die amerikanische Machtelite (vulgo: Establishment) Grund genug hatte, einen republikanischen Reformer in der Tradition von Hamilton, Lincoln und auch Roosevelt aus dem Weg zu räumen, weil die Richtpunkte seiner Politik ihren Plänen nahezu bei jedem Vorhaben zuwiderliefen.

Der erste Nachforscher und Autor, der beide bis heute unbeantwortet gebliebenen Fragen, warum die Vereinigten Staaten in Vietnam Krieg führten und ihn verloren, und warum Kennedy Opfer eines Mordkomplotts geworden war und die Aufdeckung dieses Komplotts bis heute nicht gelungen ist, ein gutes Stück weit zu beantworten vermochte, L. Fletcher Prouty, war in den fünfziger und sechziger Jahren, besonders aber in den Monaten vor und nach dem Attentat auf Kennedy, in seiner Position im Pentagon zu nahe am Schnittpunkt der Operationen von Militär und CIA, als daß man seine mit Dokumenten, Protokollen und Tätigkeitsnachweisen belegten Behauptungen und Schlußfolgerungen als »romantische Verklärung« wegwischen könnte.

Prouty, Vorbild für Mister X in Oliver Stones Film, weiß einfach zu viele Einzelheiten aus seiner Zeit als Offizier, kann einfach zu viel belegen, als daß man ihn mir nichts dir nichts unter all die vielen Schwafler einsortieren könnte, die seit mehr als 30 Jahren auf Papier und nunmehr seit mehr als 5 Jahren im Internet an der Zusammensetzung des Puzzles basteln, aus dem die schlußendlich aufzuklärende Mordverschwörung an Kennedy als Schreckensgemälde und als ein fertiges Ganzes enstehen soll.

In seinem Buch JFK, 1992 in den USA, ein Jahr später auch in Deutschland erschienen, hält sich Prouty weniger auf mit der Rekonstruktion des Attentats an Kennedy oder mit den fragwürdigen »Feststellungen« der McCloy/Dulles-Kommission, die als »Warren-Kommission« so viel (fast alles) zur Verdunklung des Tathergangs wie der Geschichtsschreibung unternommen hat, sondern geht vielmehr zum Kern der Sache vor:

»Als ich meine Zusammenarbeit mit Oliver Stone begann und ihn beim Drehbuch zu seinem Film JFK beriet, fiel mir auf, wie wenige Leute, die über den Tod Kennedys geforscht und geschrieben haben, jemals das Washington der Jahre 1961 bis 1963 nach Hinweisen auf die Frage abgesucht haben: »Warum wurde Präsident John F. Kennedy ermordet? Welcher enorme Druck hatte dazu geführt, daß ein so gravierender Beschluß gefaßt werden mußte, der nicht nur das Todesurteil für Kennedy, sondern auch den Sturz seiner ganzen Regierung bedeutete?«

Ich diskutierte mit Stone darüber, und er entwickelte größtes Interesse an diesem Aspekt des Mord-Szenarios. Ich hatte bereits mit Jim Garrison, dem Richter am Berufungsgericht in New Orleans korrespondiert und mit ihm am Manuskript für sein Buch On Trail of the Assassins gearbeitet. Garrison hatte meine Briefe seinem Lektor Zachary Sklar bei der Sheridan Square Press gezeigt, der das Drehbuch für Stones JFK schrieb und sich mit Stone auch über meine Briefe unterhielt. Garrison machte mich dann im Juli 1990 mit Oliver Stone bekannt.

Das Wichtigste an alldem war, daß ich Präsident Kennedys Vietnam-Politik, wie sie im NSAM (National Security Action Memorandum) 263 niedergelegt war, in diese Gespräche eingebracht hatte. Ich bin überzeugt, daß die von Kennedy so nachdrücklich in dem früheren NSAM 55 und dann im NSAM 263 angekündigte Politik der Hauptgrund für den Beschluß gewisser Elemente der Machtelite war, ihn vor seiner Wiederwahl zu beseitigen und die Regierung der Vereinigten Staaten unter ihre Kontrolle zu bringen.

Kennedys im NSAM 263 niedergelegte Politik hätte dafür gesorgt, daß Amerikaner nicht zu Hunderttausenden in den Krieg nach Vietnam geschickt worden wären. Für die Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes, ihre Bankiers und ihre Verbündeten in der Regierung waren diese Pläne ein Greuel, und da an der Wiederwahl Kennedys im Jahre 1964 kaum zu zweifeln war, bereitete man seine Ermordung vor. (. . .)

Das NSAM 263 vom 11. Oktober 1963 war ein entscheidendes Dokument aus dem Weißen Haus. Große Teile davon wurden nach Maßgabe der Politik des Weißen Hauses von meinem Vorgesetzten im Pentagon, General Krulak, von mir selbst und von anderen Leuten aus seinem Stab verfaßt. Ich bin mit diesem Memorandum vertraut und kenne auch die Ereignisse, die zu seiner Niederschrift führten.

Der Begleitbrief zum Memorandum bekräftigte den Adressaten gegenüber diese Politik noch einmal. McGeorge Bundy hatte den Begleitbrief entworfen, unterzeichnet und direkt an den Außenminister, den Verteidigungsminister und den Chef der Vereinigten Stäbe geschickt. Offizielle Kopien gingen an den CIA-Direktor und die Leitung der Agency for Internal Development. Damit waren die Entscheidungen des Präsidenten formell bestätigt, die sich auf bestimmte Abschnitte des McNamara-Taylor-Reports vom 2. Oktober 1963 bezogen.

Damit man richtig einschätzen kann, was mit der Bekanntgabe der Politik Kennedys stattgefunden hatte, zitiere ich hier die wenigen Abschnitte aus dem NSAM 263 (in den Pentagon-Papieren Dokument 146):

Auf einer Sitzung am 5. Oktober 1963 befaßte sich der Präsident mit den Empfehlungen, die der Report von Verteidigungsminister McNamara und General Taylor über ihre Mission nach Südvietnam ausspricht.
Der Präsident akzeptierte die militärischen Vorschläge in Abschnitt I B (1-3) des Berichts, ordnete aber an, daß die Durchführung von Plänen, nach denen bis Ende 1963 eintausend Angehörige der US-Streitkräfte abgezogen werden sollen, nicht formell verkündet werden.
Nach der Diskussion der übrigen Vorschläge des Reports genehmigte der Präsident eine Weisung an Botschafter Lodge, die sich im Telegramm Nr. 534 des Außenministeriums nach Saigon findet.

Das Ungewöhnliche zum Begleitbrief von McGeorge Bundy ist die Tatsache, daß er zwar auf den McNamara-Taylor-Report Bezug nimmt, aber keine Zitate daraus enthält. Ohne den Report selbst ist dieser Begleitbrief zum NSAM 263 beinahe wertlos. Dieser Umstand hat die Forscher von Anfang an verwirrt. Der Begleitbrief bestätigt, daß der Präsident nur den >Abschnitt I B (1-3) des Reports< genehmigt habe. Das war mit anderen Worten zu dem Zeitpunkt also eine offizielle Bekundung der Vietnampolitik des Präsidenten. Was steht in diesem Anschnitt? In Dokument 142 der Pentagon-Papiere findet sich der >Report der McNamara-Taylor-Mission über Südvietnam<, und dort stehen auch die genannten Abschnitte (auszugsweise zitiert):

I B (2) Es ist ein Programm aufzustellen, nach dem die Vietnamesen soweit ausgebildet werden, daß die jetzt von Angehörigen der US-Streitkräfte übernommenen wesentlichen Aufgaben spätestens Ende 1965 in vietnamesischen Händen liegen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte es möglich sein, das Hauptkontingent der amerikanischen Truppen abzuziehen.
I B (3) In Abstimmung mit dem Programm zur Ausbildung von Vietnamesen für militärische Funktionen bereitet das Verteidigungsministerium sofort Pläne für den Abzug von tausend Militärangehörigen bis Ende 1963 vor, die in allernächster Zeit veröffentlicht werden sollen.

Kurz gesagt: Die beiden zitierten Abschnitte stellen den Kern der Kennedy-Politik dar, nach der noch 1963 Männer aus Vietnam abgezogen werden sollten. Bis 1965 solte das Hauptkontingent folgen. Nachdem die USA fast eine Generation lang in Vietnam engagiert gewesen waren, war dies ein klares Signal, daß Kennedy das militärische Engagement der USA in Vietnam beenden wollte. Das war die Nachricht, die in der Welt wie eine Bombe einschlug und für die entsprechenden Schlagzeilen sorgte.

Am 15. Januar 1992 redete Oliver Stone vor den Mitgliedern der amerikanischen Presse in Washington. Das war ungefähr einen Monat nach dem Start seines Films in den amerikanischen Kinos. Stone sagte in seiner Rede: >Hätte Präsident Kennedy weitergelebt, wären die Amerikaner nicht so tief in den Vietnamkrieg hineingezogen worden.< «

Soweit das Zitat aus dem Buch von Fletcher Prouty. Soviel sollte daraus klar werden: Kennedy hatte sich, aus welchen grundsätzlichen oder opportunistischen Erwägungen heraus auch immer, auf eine Haltung zurückbesonnen, die bereits John Quincy Adams als Außenminister der erst wenig mehr als eine Generation alten Republik der Vereinigten Staaten unzweideutig zum Ausdruck gebracht hatte. Adams sagte in einer Gedenkrede zum 4. Juli 1821, daß nur dann ein Krieg gerechtfertigt wäre, wenn die Rechte oder die Sicherheit der eigenen Nation direkt bedroht würden, und fuhr fort:

»Wherever the standard of freedom and Independence has been or shall be unfurled, ... there will be her heart, her benedictions and her prayers be.
But she goes not abroad, in search of monsters to destroy. She is the well-wisher to the freedom and independence of all. She is the champion and vindicator only of her own. She well knows that by once enlisting under other banners than her own, were they even the banners of foreign independence, she would involve herself beyond the powers of extrication, in all the wars of interest and intrigue, of individual avarice, envy, and ambition, which assume the colors and usurp the standard of freedom.«

Die amerikanische Verblendung des »American Century«, unter dem zumindest Roosevelt noch etwas anderes verstanden hatte als die in imperialen Kategorien denkende Machtelite, will weder die freiheitliche und republikanische Logik von John Quincy Adams wahrhaben noch die aus Dokumenten der eigenen Regierung zu ziehenden Schlüsse über einen Staatsstreich, der binnen einer Woche - unmittelbar vor dem Attentat auf Kennedy bis zur Abfassung und Verkündung einer völlig anderen Sicherheitsdirektive, des NSAM 273 - vollzogen wurde. Die damit durchgesetzte vollständige Umkehrung der amerikanischen Politik in Vietnam begann einen Krieg, der nicht zu gewinnen war und 1975 so endete, wie er von der CIA begonnen worden war: mit einem Massenaufgebot von Hubschraubern.