lV. Der Generalstab als Ersatz für das mangelnde Genie des
Feldherrn
Der Geist des Positivismus,
den Scharnhorst bereits im hannöverschen Generalstab erkannt und bekämpft
hatte, beseelte den preußischen Generalstab in ausgesprochener Weise. Das
Prestige der preußischen Militärmaschine sowie ihre Kriegstüchtigkeit galten
als über jeden Zweifel erhaben, ihre Kriegskunst durch die überlieferten
Rezepte, insbesondere durch die Testamente des großen Königs gesichert, so daß
man glaubte, auch ein militärisch minderbegabter Herrscher werde an der Spitze
des preußischen Heeres und seines Offizierkorps den künftigen militärische
Aufgaben des Staates gewachsen sein.
Friedrich der Große hatte
die Operationspläne wie die notwendigen Dispositionen und Instruktionen zu
seinen Feldzügen selbst entworfen. Die Führung der Schlacht lag in seiner Hand.
Er war nicht nur sein eigener Feldherr, sondern, wenn man den Begriff
Generalstab hier überhaupt brauchen will, sein eigener Chef des Generalstabs.
Soweit er Offiziere zur Mitarbeit heranzog, verwendete er sie als Adjutanten
oder Ingenieure. Zu einer schöpferischen militärischen Tätigkeit im Bereich der
höheren Kriegskunst wurde jedoch kaum einem dieser Offiziere Gelegenheit
geboten. Als Friedrich der Große starb, bestand der sogenannte
Generalquartiermeisterstab aus etwa zwei Dutzend von Offizieren, die sich
hauptsächlich mit Terrainaufnahmen beschäftigten, während die so genannten
Ingenieurgeographen das Material zusammenstellten und die Karten ausfüllten. Neben
diesen Quartiermeisteroffizieren gehörte das Feldjägerkorps mit seinen
vielfältigen Diensten als Melder und Kuriere sowie den berühmten
„Kolonnenjägern“ als Einweiser der Truppen bei Märschen ebenso zum Generalstab
wie die „Brigademajors“, eine „Art mobiler Platzoffiziere“.[32] Für
die Beschäftigung dieser Art des Generalstabs ist eine Instruktion aus dem
Jahre 1801 bezeichnend, die die bisher üblichen Aufgaben noch einmal kurz
zusammenfaßt.[33]
Massenbach erkannte die Situation richtig, in der sich der preußische Staat
politisch und militärisch befand. Er geht davon aus, daß nach dem Tode
Friedrichs II., der als Staatsmann und Feldherr die Leitung des Staates wie der
Armee in der Hand hatte, niemand mehr in der Lage sei, diese Funktionen in sich
zu vereinigen, während auf der anderen Seite durch das Genie Napoleons dies in
hervorragender Form geschieht. Dazu sieht er das europäische Gleichgewicht
durch die Französische Revolution empfindlich gestört. In einer Zeit, in der
sich die Form einer neuen Kriegführung bereits klar abgezeichnet, und in der
zugleich das militärische Genie Napoleons die Aufmerksamkeit der politischen
wie militärischen Kreise immer stärker auf sich zieht, empfindet man in Preußen
besonders stark das Fehlen einer Institution, die unter einheitlicher Leitung
und großen Gesichtspunkten die militärischen Aufgaben des preußischen Staates
hätte lösen können.
Massenbach verlangt zunächst
den „Einklang“ zwischen Politik und Kriegführung, der seit dem Tode Friedrichs
nicht mehr gewährleistet war. Sodann fordert er eine gänzliche innere Wandlung
in der Einstellung der Führung des preußischen Staates zum Krieg. „Der König
und seine Herren Brüder“ müssen auf die große Kunst, „auf das Wissenschaftliche
des Krieges aufmerksam gemacht werden“[34]. Sie
sollen sich losmachen vom „Mechanismus des Exerzierens und nicht länger darin
das Heil des Staates erblicken“. Es ist dies „die allerwichtigste Vorbereitung
zum Kriege“[35]. Sie
sollen erkennen, daß künftige Feldzüge Entwürfe verlangen, die von dem Krieg
„im Großen“ und „im Ganzen“ ausgehen, die „reif und tief durchdacht werden“.
Deshalb dürfen in Zukunft nur Könner den König beraten, Männer, „welche sich
dem Studio des großen Krieges ganz vorzüglich gewidmet“, ihn „zum allgemeinen
Studio eines ganzen Lebens“[36]
gemacht haben” und nicht wie bisher der Generaladjutant. Er nimmt, da der König
von der Kriegführung nichts versteht, eine überragende Stellung ein, obwohl er
keinerlei taktische oder strategische Kenntnisse besitzt, im übrigen weder die
Armee noch die „Kriegstheater“ des Staates kennt. Zu diesem Zweck soll der
Generalstab als eine Sachverständigenorganisation geschaffen werden, die sich
besonders der Aufgabe widmet, auf Grund ihres Wissens um die Zusammenhänge
zwischen Politik und Kriegführung dem König fundierte Ratschläge zu geben.
Massenbach sieht den
entscheidenden Mangel, der im preußischen Staat hinsichtlich der Kriegführung
besteht. Es gibt niemanden, der sich „mit dem großen Krieg“ eingehend
beschäftigt, vor allem Operationspläne auf Grund des Zusammenhangs zwischen
Politik und Kriegführung ausarbeitet. Sein Argument, daß der König keine
Entscheidung fällen kann, weil er „den großen Krieg nicht kennt, ihn nicht zu
seinem Studio gemacht hat«[37] und daher
unverantwortlichen Ratgebern Gehör schenkt, ist durchaus zutreffend. Wie
mangelhaft insbesondere die durch den Generaladjutanten erfolgte Beratung des
Königs war, hat Scharnhorst später bestätigt, wenn er erklärte: „Der
Generaladjutant, gewöhnlich ein Infanterie Offizier ohne höhere militärische
Kenntnisse, trug ohne Vorbereitung und Beratung alle Gegenstände des Ingenieur
und Artilleriewesens, der höheren Anordnungen zum Kriege, des Details der
Infanterie und Cavallerie u. s. w. vor“. Der König erhielt „gewöhnlich von
keiner anderen Sache gehörige Auskunft, als von den niederen Gegenständen des
Infanterie Dienstes“[38].
Diesem Zustand will Massenbach abhelfen. Die hier vorhandene Lücke soll durch
den Generalstab geschlossen werden.
Im Generalstab sollen
„die Kenntnisse, die
Wahrheitsliebe und der Scharfsinn mehrerer sich in einem Centralpunkt
vereinigen«[39].
Dies
wird „Kriegsentwürfen das Dasein geben, welche nach den richtigsten Grundsätzen
bearbeitet worden sind“. „Keine schwankenden, auf falschen Grundsätzen
beruhende Meinungen werden dann in Zukunft dem König vorgetragen“, sondern nur
„lange geprüfte, reine Wahrheit«.
Der
Generalstab selbst ist die Institution, die dem König
„reine, ewige, unabänderliche
Wahrheit, rein wie gediegenes Gold.«[40]
in
ihren Plänen vorlegt. Wenn der König sie genehmigt, so erteilt er nur der
„ewigen, unabänderlichen Wahrheit« Sanktion, die dann im Grunde nur eine
Formalität ist. Kann doch der König gar nicht anders als zustimmen, wenn ihm
auf dieser Wahrheit beruhende Vorschläge gemacht werden.
Der Generalstab
repräsentiert so nach Massenbach in einer Kollektivorganisation das Äußerste,
was an Wissen und Können im preußischen Heer vorhanden ist. In ihm sitzen
denkende Offiziere, auf Grund einer „strengsten Prüfung“ in einem besonderen
Verfahren ausgesucht, keine bloßen „Majors mit Federhüten“[41]. Der
Generalstab bietet damit denjenigen Ersatz, den das preußische Heer beim Fehlen
des Genies aus sich heraus zu stellen vermag. „Die vorige Regierung hat keiner
neuen Generation großer Männer das Daseyn gegeben.“ Statt zu warten, ob ein
neues Genie auftritt und sich der Hoffnung auf „den Zufall“ zu überlassen,
trifft das preußische Heer mit der Errichtung des Generalstabes
„Anstalten, brauchbare Männer
zu bilden und überall Geisteskraft und Genie zu wecken“[42].
Der
König selbst kann sich den Ersatz für sein eigenes fehlendes Genie im
Generalstab organisieren. Die einzelnen, dem Generalstab angehörenden Offiziere
stellen dann ihrerseits den Ersatz für die mangelnden Feldherrntalente der
mittleren Führung dar. Sie beraten und ergänzen sie in ihrem fehlenden Wissen.
Die Auffassung vom
Generalstab als Ersatz für das Genie des Feldherrn ist in der Situation des
preußischen Staates, in der Massenbach schreibt, berechtigt. Das entscheidende
Problem ist nur, wie dieser Gedanke durchgeführt werden solL Massenbach ist
Fanatiker der Topographie. Zwar nimmt sein beweglicher Geist alle Ideen, die in
der Zeit liegen, auf und bringt sie irgendwie zum Ausdruck[43]. Im
Ergebnis werden sie jedoch nur zur Rechtfertigung seiner Lieblingsidee, der
terrestrischen Kriegskunst, benutzt. „Von der Tanne bis zum Schilfrohr“ muß
man, so hören wir von dem Oberleutnant Valentini, der Massenbachs Brigade als
Offizier zugeteilt war, „alles beschreiben und zeichnen“[44].
Clausewitz spricht von Massenbachs „schlimmer Tendenz, überhaupt den räumlichen
Beziehungen eine übermäßige Wichtigkeit beizulegen, die Streitkraft selbst aber
sowie das Gefecht und seine Folgen aus den Augen zu verlieren“. Wer Massenbachs
Anweisungen darüber liest, „worauf die Officiere des Generalstabs bei der
Bereisung einer Provinz zu sehen haben”[45],
findet dies bestätigt. Da, wo Massenbach die mathematisch orientierte
Manöverstrategie überwinden und von den Fesseln der Geometrie befreien will,
landet er in der Militärgeographie. Jede große strategische Zielsetzung hemmt
er durch seine geographischen Prämissen. Sein strategisches Wertsystem ist
topographisch gebunden. Der geniale Feldherr ist für Massenbach das
topographische Genie, das auf Grund seiner topographischen Kenntnisse überall
strategische „Punkte“, die ihm bestimmte Operationen vorschreiben, sieht, von
denen es sich dann in seinen Überlegungen abhängig macht. Der Generalstab ist
dementsprechend Ersatz für das fehlende topographische Genie und selbst in
seiner Arbeit weitgehend topographisch festgelegt.
V.
Der Zusammenstoß zwischen Generalstab und Militärhierarchie
1. Die Angst der Generale vor dem Übergriff in ihre Kompetenz
Der König hatte die
Denkschriften Massenbachs an die hohe Generalität, den Herzog von Braunschweig,
den Fürsten Hohenlohe, den Feldmarschall von Moellendorff, den Generalleutnant
von Geusau und den Generalmajor von Zastrow, einen zweiten Entwurf Massenbachs
an die Generalleutnante von Rüchel und Tempelhoff gesandt und zur Stellungnahme
aufgefordert. Der Grundthese Massenbachs, daß „der große Krieg“ durch ein
besonders gualifiziertes Gremium bearbeitet und vorbereitet werden müsse,
stimmten die Generale im allgemeinen mit freundlichen Worten zu[46].
Rüchel erklärte:
„Das Bild des Krieges muß man
im Frieden entwerfen und das Bild des Friedens im Kriege ins Auge fassen.“[47]
Die
Einheit von Politik und Kriegführung zu schaffen, sei gleich wichtig, denn
„beide Gegenstände greifen
ineinander ein, scheinen nur separiert durch den Begriff des Degens und der
Feder, sind aber in Wirklichkeit nur eins für den Staat“[48].
Tempelhoff
meinte, es könne
„die Bearbeitung besonders der wahrscheinlichsten Fälle, auf
welche Art der preußische Staat mit seinen Nachbarn in einen Krieg verwickelt
werde, von einem sehr ausgebreiteten Nutzen seyn“, denn „wenn gleich die Fälle
nie wirklich so eintreten, als sie in der Einbildung gedacht werden, so sind
sie doch eine ganze vortreffliche Übung für den Strategen, und wer eine Menge
von Fällen schon durchdacht hat, dem fällt es gar nicht schwer, neue und noch
nicht gedachte Fälle im Kriege mit einer Leichtigkeit, Gründlichkeit und
Schnelligkeit zu bearbeiten, die man von demjenigen nicht erwarten kann, der
mit dieser Art von Arbeit noch nicht so bekannt ist“[49].
Die
Generale bejahten also den Generalstab in der Form eines den König beratenden
militärischen Gremiums, des später sogenannten „großen Generalstabs“. Von
dessen Tätigkeit sahen sie sich auch wenig betroffen. Sie würde sich, so
glaubte man, in dem engen Kreis um den König in der Form der Diskussion von
Projekten vollziehen. Man kannte diese Methode und wußte, wie ungefährlich sie
bei dem schwankenden Charakter des Königs war. Ob zu den ständig neu hier
auftauchenden Vorschlägen und Plänen noch solche über die Möglichkeiten
künftiger Kriegführung traten, war im Grunde gleichgültig. Man ging dabei von
der selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß die hohe Generalität in ihren
hervorragendsten Vertretern zu dem den König beratenden Kreis gehören würde.
Man hatte dann die Möglichkeit, jederzeit in die Diskussion einzugreifen und
solche Pläne, mit denen man nicht übereinstimmte, zu Fall zu bringen.
Anders war die Situation
jedoch, soweit es sich um den Truppengeneralstab handelte und der Chef des
Stabes Befugnisse ausüben sollte, die den Bereich umfaßten, in dem der
kommandierende General bisher allein schaltete und waltete. Hier stoßen
Massenbachs Ideen auf schärfste Ablehnung. Die Generalität war gewohnt, im
Generalquartiermeisterstab nichts anderes als einen technischen Apparat, den
„stato“ des Feldherrn zu sehen. Sie wollte von den Offizieren des
Generalquartiermeisterstabes in bezug auf ihre Operationen lediglich die Frage
beantwortet haben, „wo die Eigenheiten der Erdoberfläche einer Stellung“, die es
zu nehmen galt, „zustatten kommen und ihr einige Festigkeit mehr geben oder
nicht“.[50] Je
eindeutiger der Generalquartiermeisterstab auf diese engbegrenzte Aufgabe
festgelegt war, desto besser erschien es ihnen. Sie glaubten, die Bewegungen
des Heeres „nicht nur allein bestimmen um festsetzen zu können, sondern auch
allein berechnen und entwerfen“ zu müssen und sprachen sich scharf gegen den
neuen, viel „zu großen Wirkungskreis“ aus, den der Generalstab nach Massenbachs
Vorschlägen erhalten sollte. Insbesondere sahen sie es als „unter der Würde des
kommandierenden Feldherrn“ stehend an, „dieses Geschäft mit anderen zu beraten“[51]. Sie
beriefen sich wie immer, wenn es das Alte zu erhalten galt, auf die Autorität
Friedrichs des Großen[52]. Sie
versuchten insbesondere der Ausdehnung der Zuständigkeit des Generalstabs auf
den Bereich des kommandierenden Generals mit dem Einwand zu begegnen, eine
solche Maßnahme stünde im Widerspruch zu den Grundprinzipien der preußischen Armee.
Ihre tragenden Pfeiler, die Subordination im Heer und der von allen preußischen
Königen anerkannte und immer wieder bewährte Grundsatz, daß nur einer, und zwar
der kommandierende General, führen und die Verantwortung tragen könne, gerieten
ins Schwanken. Sie wußten, daß sie mit diesem Hinweis eine besonders
empfindliche Stelle beim König trafen.
Massenbach änderte auf diese
Argumente hin seine Taktik. Er hatte dem König die überragende Bedeutung des
Generalstabs als derjenigen Organisation darzustellen gewußt, deren
Erkenntnisse als „reine, ewige, unabänderliche Wahrheit” zu gelten hätten, die
von ihm im Interesse der Erhaltung des Staates zu akzeptieren seien. Den
Generalen gegenüber bagatellisierte er die Stellung des ihnen beigeordneten
Chefs mit seinem Stabe. Statt dessen rückte er die Person des Generals in den
Vordergrund, die nur deshalb bisher nicht die ihr zukommende Position
einzunehmen vermöchte, weil der General sich zu sehr um das Detail zu kümmern
hätte. Dies würde mit der Durchsetzung der neuen Pläne anders werden. Aufgabe
des Generalstabs sei es, gerade das Detail dem General abzunehmen, um ihm auf
diese Weise zu ermöglichen, sich mit den seiner Stellung angemessenen Aufgaben
zu beschäftigen, insbesondere „den Operationenplan des Feldzuges und des ganzen
Krieges zu überdenken“[53]. Erst
dann sei er in der Lage,
„gleichsam wie ein Wesen
höherer Art über diesen Gegenständen, deren detaillierte Bearbeitung seiner
Sache nicht wert (sei), sondern dem Generalstab zugehöre, zu schweben“ [54].
Die
entscheidende Tätigkeit des Chefs des Stabes, die gerade in der Beratung des
unfähigen kommandierenden Generals bestehen sollte, konnte man jedoch schlecht
als Abnahme des Details bezeichnen. Sie wurde von den Generalen auch
keinesfalls so gewertet, sondern gerade hierin der Eingriff in ihre bisherige
Führungskompetenz gesehen. Aber auch demgegenüber versuchte sich Massenbach mit
der Bagatellisierung der Aufgabe des Generalstabs zu helfen. Er erklärte, der
Chef des Stabes sei nur der „Registrator des Generals“, der die für das
kriegerische Geschehen wesentlichen „Materialien hervorsuche und sie ihm nach
und nach im Lauf der Operationen, soweit sie erfordert werden, vorlege”. Diese
wiederum seien „keineswegs Vorschrift«, sondern „nur Leitfaden, an den man sich
einigermaßen halten” könne.
Von
Massenbachs Sicht aus war dieses Argument gar nicht schlecht gewählt. Inbegriff
der Tätigkeit des Generalstabs ist für ihn eine bis ins einzelne gehende
topographische Bearbeitung des Landes als unabdingbare Voraussetzung für alle
strategischen Maßnahmen. Mit jedem Sumpf, Fluß oder Hügel als strategischen
„Punkten“ sieht Massenbach bereits den Zwang zu einem bestimmten Handeln
gegeben. Das gesamte operative Handeln ist durch die topographischen
Gegebenheiten weitgehend bereits im voraus bestimmt. Wer die von Massenbach
entworfenen „Tabellen zur topographisch militärischen Kenntnis eines Landes«
durchgeht, spürt deutlich die Fesseln, die jeder operativen Tätigkeit angelegt
werden. Breitet der im Massenbachschen Geiste geschulte Generalstabsoffizier
das im Laufe der Operationen jeweils erforderliche Material vor seinem General
aus, so verbindet er damit bereits eine stille, aber sehr eindeutige Mahnung zu
einem ganz bestimmten Handeln. Massenbach kann daher den Chef des Stabes, ohne
viel von der diesem zugedachten Position aufzugeben, äußerlich zum
„Registrator“ erniedrigen. Er übt allein durch die Vorlage der topographischen
Materialien ein gut Teil seiner Beratungsfunktion aus. Der General, der dieses
Material zu deuten versteht, wird daraus seine Konsequenzen ziehen. Wer dazu
nicht das Talent besitzt, wird sich von selbst seines Stabschefs bedienen.
Massenbachs
Argumente vermögen die Generalität nicht umzustimmen. Sie empfinden trotz
seiner Beteuerungen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, die das
orthodoxe, unduldsame System strategisch-topographischer Glaubenssätze,
verfochten von einer Bürokratie von Ingenieurgeographen, bewirken würde. Zum
Teil ist es ihnen für ihr Verständnis zu kompliziert, zum anderen wesensfremd.
Sie halten an ihrer Behauptung fest, daß die Einrichtung eines Generalstabs
einen Eingriff in ihre bisherige Kompetenz darstelle und mit ihrer Ehre und
Würde nicht verträglich sei.
2.
Die Ablehnung des im Generalstab liegenden neuen geistigen Prinzips
Unter ganz anderen
Gesichtspunkten als Rüchel und die übrigen Generale wendet sich der
Generalmajor von Zastrow gegen die Verwirklichung von Massenbachs Ideen.
Zastrow sieht in der Einrichtung des Generalstabs den Beginn einer gefährlichen
Entwicklung. Die Armee würde auf diese Weise mit einer „Pepiniere“ für die
Generale versehen, einem Unternehmen, dem gegenüber man die Frage aufwerfen
müsse,
„ob es ein Glück für eine
Armee ist, wenn alle ihre Generale mit Feldmarschall-Talenten begabt sind, wo
keiner gern dem anderen nachstehen will” [55].
Mit
dem sarkastischen Vergleich des künftigen Generalstabs als „gute Pepiniere“, in
der man die Offiziere militärisch aufklärt und sie in die Wissenschaft der
höheren Führung einweiht, die bisher als Geheimnis dem König als Staatsmann und
Feldherrn sowie einigen obersten militärischen Würdenträgern vorbehalten war,
rührt Zastrow an das entscheidende Problem, das die bisher führende Schicht des
preußischen Heeres auf das tiefste beunruhigt. Ist es möglich, im Heer den Geist
einer akademischen Wissenschaftlichkeit, die nur auf dem Boden der Gleichheit
und Freiheit der Meinung gedeihen kann, freie Bahn zu geben, ohne dabei die
Grundpfeiler des Heeres, die Autorität und die Subordination, umzustürzen?
Diese stellen mehr als nur zweckmäßig bedingte Formen dar, sie sind als
Elemente einer gottgewollten Ordnung zu betrachten. Wird diese Ordnung nicht
dadurch zerstört werden, daß die rationale und kritische Arbeitsmethode der
Wissenschaft Eingang ins Heer findet und man die wissenschaftliche Wahrheit
über die mit dem Rang verbundene Autorität setzt? In der Pepiniere des
Generalstabs werden in Zukunft verschiedene wissenschaftliche Meinungen gleich
berechtigt einander gegenüberstehen. Kann man ein Heer noch zusammenhalten,
wenn hier das Gewicht der Meinung die mit der Rangordnung gegebene Hierarchie
untergräbt? In der praktischen Auswirkung werden die Generalstabsoffiziere sich
auch dazu berufen fühlen, die entscheidende „Operation“ selbst durchzuführen.
Sie werden den Ehrgeiz haben,
„die Ehre des glücklichen
Erfolgs jeder Unternehmung mit dem General zu teilen“[56].
Die Mißerfolge dagegen
werden sie darauf zurückführen, daß der General sich nicht nach ihren
Grundsätzen gerichtet habe. Ist es demgegenüber nicht an der Zeit, sich auf die
tiefe Weisheit des Anciennitätsprinzips als Garant einer wohlausgewogenen
Ordnung im Heere zu besinnen, anstatt die Offiziere „nach ihren Fähigkeiten
avanciren zu lassen?“[57]
Zastrows Gedanken sind nicht
neu. Der Major der Kavallerie von Brenkenhop hatte in seinem Kampf gegen das
Eindringen der Aufklärung in das Offizierkorps und den damit verbundenen
Versuchen, den Bildungsstand des Offizierkorps zu heben, sich ähnlich geäußert.
Er hatte gegenüber dem Drängen der Aufklärung unter dem Beifall der Zunft
erklärt, nach wie vor sei das Idealbild eines Heeres jenes, „an dessen Spitze
einige denkende Köpfe stehen, bey dem die übrigen blas maschinenmäßig handeln,
aber jeder die Pflichten seines Postens gehörig erfüllt«[58].
Glücklich ist für ihn die Armee,
„bei der ein jeder
Untergebener seine Vorgesetzten für Wesen höherer Art hält und unglücklich die,
bei der der niedere Offizier, ja wohl der gemeine Mann philosophiert und auf
den sehr gegründeten Gedanken kommt, daß wir alle Adamskinder, aus einem Stoff
gemacht sind und öfters der Untergebene mehr Verdienste und Einsichten als sein
Vorgesetzter besitzt“[59].
Brenkenhoff,
Adjutant des Herzogs von Braunschweig, hatte sich zum Wortführer jener Richtung
im Heere gemacht, die Wissenschaft und Bildung für den Offizier als unnötig, ja
sogar als schädlich und die bisherige Ordnung zerstörend betrachtete. Die 3.
Auflage seines vielgelesenen Büchleins hatte er dem General Rüchel zugeeignet.
Brenkenhoffs Werke werden von Zastrow in abgewandelter Form zur Abwehr eines
Unternehmens benutzt, mit dessen Durchsetzung man die Zerstörung der bisherigen
Ordnung von oben her befürchtete.
3.
Der Generalstab als Jesuitenorden
Zastrows Behauptung,
Massenbach führe mit seinem Generalstab in die festgefügte Ordnung des
preußischen Heeres ein fremdartiges Element in Gestalt einer auf der Grundlage
akademischer Freiheit arbeitenden Institution ein, er untergrabe damit den
Gehorsam und die Autorität im Heere, traf diesen zutiefst. Gerade Massenbach
war es um alles andere zu tun, als zersetzender Kritik und Freigeisterei im
Heere die Bahn freizumachen. In seiner Auseinandersetzung mit dem großen
Widersacher der bestehenden Heeresordnung, Heinrich von Berenhorst, hatte er in
dieser Hinsicht eindeutige Positionen bezogen[60].
Massenbach versucht Zastrow mit dem Hinweis auf das Beispiel des Jesuitenordens
zu widerlegen und erklärt:
„Der Generalstab würde in
Absicht der Subordination einige Ähnlichkeit mit dem Jesuiter Orden haben, dessen
Mitglieder bekanntlich ihren Oberen einen sehr strengen Gehorsam schuldig
waren. Ohne diesen Gehorsam kein Heil.«[61]
Der
Jesuitenorden, der von Ignaz von Loyola, einem ehemaligen Offizier, geschaffen
und als ausgesprochene Kampforganisation das „Fähnlein Christi« genannt wurde,
hat für Massenbach den Beweis erbracht, daß man auf der einen Seite durchaus
geistig beweglich. und höchst gebildet, auf der anderen bis zur Hörigkeit
gehorsam sein kann. Wissenschaft und Bildung brauchen so nicht notwendig ein
zersetzendes Element zu sein und eine Zerstörung der bisherigen Ordnung zur
Folge zu haben. Sie lassen sich mit der strengen Zucht eines aristokratischen
Ordens, der eine geistige Elite zur Erfüllung wichtiger Spezialaufträge
darstellt, sehr wohl vereinigen. Die Vorstellung, daß mit dem Eindringen des
Geistes der Wissenschaftlichkeit und Bildung in das Heer dessen Verfall
beginne, weist nur auf die möglichen negativen Folgen hin. Die positive Seite,
durch die Übernahme von Wissenschaft und Bildung in das Heer und die dadurch
erreichte geistige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit in Verbindung mit dem
Gehorsam das Heer in seinen Grundfundamenten zu festigen und zu stärken und es
dadurch siegreich aus den Anfechtungen der Zeit hervorgehen zu lassen, hat man
nach Massenbach bisher weder erkannt noch in Erwägung gezogen. Das soll mit dem
neuen Generalstab geschehen.
Abgesehen
davon, ob der Vergleich des Generalstabs mit dem Jesuitenorden glücklich war,
um diese Institution der preußischen Generalität näherzubringen, war er für
Massenbachs Grundeinstellung sehr bezeichnend. Wie der Jesuitenorden kämpft
Massenbachs Generalstab für ein Dogma. Es ist die militärisch topographische
Glaubenslehre. Zur Durchsetzung dieses Dogmas will er wissenschaftlich
hochgebildete Offiziere in einem straff organisierten Orden zusammenfassen. Der
Generalquartiermeisterleutnant (Chef des Stabes), der nach Massenbach als der
„ständige Begleiter des kommandierenden Generals“ auftreten soll, ist dann – um
im Bild des Jesuitenordens zu bleiben – der Beichtvater und geistliche Berater,
der sich zwar demütig und bescheiden im Hintergrund hält, aber von dort die
Anerkennung des militärischen Glaubensdogmas überwacht und damit eine
ausschlaggebende Rolle spielt.
Wie
der Jesuitenorden hat auch Massenbachs Generalstab eine konterrevolutionäre,
gegenreformatorische Tendenz. Sie richtet sich gegen die revolutionäre
napoleonische Strategie und Taktik und verficht ihr gegenüber die
friderizianische Erbschaft. Daß Massenbach diese nicht wie die Generale in dem
Dogma des Exerzierreglements, sondern dem der Topographie und der
terrestrischen Kriegskunst sah, ist in diesem Zusammenhang gleichgültig. Die
Auseinandersetzung zwischen Zastrow und Massenbach ist im Grunde als ein
interner Streit auf dem Boden der alten Welt innerhalb der preußischen
Armeeführung zu bewerten. Massenbach versucht, die ungeistigen Generale und den
von ihnen abhängigen König, die angesichts der europäischen Krise durch ihre
Unzulänglichkeit den Staat ins Verderben zu führen drohen, unter die Diktatur
des Generalstabs nach dem Vorbild eines geistlichen Ordens zu bringen, der der
wahre Träger der friderizianischen Erbschaft sein und diese in neuer Form als
Heilsbotschaft und Ausweg gegenüber dem drohenden Unheil verfechten soll.
Die
Bedeutung der hier verfochtenen Positionen tritt besonders klar hervor, wenn
man der Massenbachschen die Scharnhorstsche Auffassung vom Generalstab
entgegenhält. Scharnhorst stimmt mit Massenbach in der Forderung nach einem
Generalstab als Ersatz für das Genie eines Napoleon und die mangelnden Talente
der kommandierenden Generale überein. Scharnhorsts Generalstab ist jedoch alles
andere als eine Nachahmung des Jesuitenordens. Er soll nicht für ein
militärisches Glaubensdogma kämpfen und diesem zur Durchsetzung verhelfen. Er
hat auch keine konterrevolutionäre, gegenreformatorische Tendenz. Er soll im
Gegenteil der Träger und Verfechter einer neuen
militärisch-wissenschaftlich-revolutionären Geisteshaltung im Heer sein. Die
Art und Weise, wie das fehlende Genie praktisch ersetzt werden sollte, war bei
Massenbach im Grunde naiv und rein mechanisch gedacht. Vier
überdurchschnittlich begabte Offiziere sollten sich zusammensetzen und als der
sogenannte „engere Ausschuß“ die Operationspläne für „den großen Krieg«
entwerfen. Scharnhorst hält es zwar für verdienstvoll, wenn man eine Plattform
schafft, auf der sich überdurchschnittliche Offiziere treffen können, um
gemeinsam künftige Operationspläne auszuarbeiten. Was nützen jedoch, so fragt
er, die schönsten organisatorischen Formen, wenn die strategischen Grundsätze
in ihrer Güte und praktischen Brauchbarkeit höchst anfechtbar sind, wenn auf
dem Gebiete der Strategie geradezu abergläubische Vorurteile über die Bedeutung
der Topographie und ihre strategischen Punkte herrschen, ihre Regeln zu
Zauberformeln und die Kriege damit zum Glücksspiel werden?
Nicht
nach überkommenen Dogmen und Theorien ist die Arbeit des Generalstabs
auszurichten. Sie ist vielmehr auf die Anwendung derjenigen strategischen und
taktischen Grundsätze abzustellen, nach denen der große Gegner Krieg führt und
Schlachten gewinnt. Was sein Genie in genialer Intuition leistet, muß durch
eine aufs höchste gesteigerte neue Methode der Forschung eingehend
wissenschaftlich von talentierten Köpfen erarbeitet werden. In einer Theorie
vom praktischen Handeln sind sodann diejenigen Grundsätze, nach denen das Genie
unbewußt verfährt, systematisch und methodisch bewußt zu machen. Dabei muß man
sich hüten, daraus wieder ein System abzuleiten und etwa mit Bestimmtheit
erklären zu können glauben:
„Dies sind Bonapartes
Feldherrnmaximen und so wird er in Zukunft handeln, weil er einmal oder zehnmal
vielleicht so gehandelt hat.“[62]
Ein
neues Ausleseprinzip, verbunden mit einer wissenschaftlich vorwärtsweisenden
Forschungsmethode, die wirklich neue Erkenntnisse in der höheren Kriegführung
zu vermitteln vermag, gibt nach Scharnhorsts Ansicht erst die Möglichkeit, dem
Genie Napoleons wirksam begegnen zu können.
VI.
Die mißglückte Reform des Generalstabs
Die Diskussion um die Reform
des Generalstabs fand in der Instruktion für den Generalquartiermeisterstab vom
26. November 1803 ihren Abschluß[63]. Sie
trug dem Gedanken Rechnung, daß nur besonders qualifizierte Offiziere in den
Generalstab übernommen werden. Ihre Eignung wird durch Ablegung eines Examens
in Form einer mündlichen und schriftlichen Prüfung in „Geometrie,
Trigonometrie, Fortifikation, Taktik, Kriegskunst und Kriegsgeschichte“
festgestellt. Diejenigen Offiziere, die durch die höheren Militärschulen der
großen Garnisonen gegangen sind, sollen bei der engeren Auswahl bevorzugt
werden[64]. Wer
sich im Generalstab nicht bewährt, wird wieder zur Truppe zurückversetzt,
andernfalls bleibt er im Korps, jedoch hält man es nicht für tunlich, die
Offiziere des Generalstabs zu lange in ihrer Stellung zu belassen. Der König
behält sich daher vor, sie „von Zeit zu Zeit in die Armee zu placiren“
(&2). Auch dem Vorschlag, „die Officiere des Generalstabs bey vorkommenden Gelegenheiten
zur Führung von Brigaden und Bataillons in der Linie anzustellen“[65],
steht der König sympathisch gegenüber. Aufgabe des Generalstabs soll es sein,
die „Fundamentalarbeiten“ zu erledigen, d. h. die Grundsätze zu entwickeln,
„auf welchen die Bearbeitung der Operationsplane beruhet“. Daneben hat der
Generalstab die laufenden Geschäfte zu versehen, worunter vornehmlich
„die gründlichste Bearbeitung
aller wahrscheinlichen Kriegsfälle, in welche der Staat unter mancherlei
Voraussetzungen verwickelt werden kann”,
zu verstehen ist (&8).
Die Art, wie dies zu geschehen hat, ist jedoch die alte. „Die genaue Kenntnis
des Landes in militärischer Hinsicht« ist der Ausgangspunkt der Arbeit des
Generalstabs. Der Generalguartiermeister gibt den „Operationsplan“ an, die
Tätigkeit des Generalquartiermeisterleutnants erschöpft sich in einer Klärung
der topographischen Verhältnisse des Kriegstheaters, auf dem der Operationsplan
verwirklicht werden soll. Damit diese topographische Aufnahme möglichst
lückenlos erfolgt, lösen sich die Generalquartiermeister ab, sowie sie mit dem
„ihnen zugetheilten Kriegstheater fertig sein werden“[66]. Der
„engere Ausschuß“, der aus dem Generalquartiermeister und seinen drei
Generalquartiermeisterleutnants besteht, gilt vor dem König als derjenige
Kreis, dessen fachmännisches Urteil als wissenschaftlich stichhaltig betrachtet
wird. Er wird als Träger der Wahrheit angesehen. Ausdrücklich wird bestimmt,
„daß nur dasjenige als wahr
angenommen und seiner Königlichen Majestät zur Allerhöchsten Genehmigung
vorgelegt werden kann, was in diesem engeren Ausschuß beschlossen worden ist“
(&18).
Massenbachs
Ideen haben hier Pate gestanden.
Die Umorganisation des Generalstabs
bedeutet zweifellos einen Schritt nach vorwärts. Der Ansatzpunkt, um den
Generalstab von einem rein technischen Büro zu einer bedeutenderen
militärischen Institution zu erheben, ist gegeben. Die neue Instruktion
bestimmt immerhin, daß der Generalstab sich auch mit den theoretischen
Vorarbeiten für die Aufstellung von Operationsplänen für alle wahrscheinlichen
Kriegsfälle zu beschäftigen hat und dem König seine Ansichten darüber vorlegen
darf. Dasselbe gilt für die den kommandierenden Generalen zugeteilten
Generalstabsoffiziere. Die gesteigerte Bedeutung des Generalstabs kommt auch
darin zum Ausdruck, daß „die sämtlichen wirklichen Mitglieder des Generalstabs
(an) der Tafel auf dem Schlosse zu Potsdam theilnehmen sollen«[67]. Sie
werden damit in den intimen Kreis des Königs einbezogen.
Die Instruktion von 1803 ist
das Spiegelbild des internen Gegensatzes in der militärischen Führung. Der
durch diese Instruktion geschaffene Generalstab ist im ganzen als eine
politische und militärische Mißgeburt zu betrachten. Das bisherige schädliche
Führungsprinzip bleibt in Geltung. Die alten Praktiker in der oberen Führung,
ungeistig, eng, pedantisch und mechanisch eingestellt, behaupten mit Erfolg
weiterhin ihren Einfluß auf den König. Typisch dafür ist, daß die Institution
des Generaladjutanten, der, wenn der Generalstab überhaupt praktische Bedeutung
erhalten sollte, nicht mehr das „Medium“ sein konnte. durch welches dem König
„Ideen mitgeteilt wurden“, die entscheidende Fragen der Kriegführung betrafen,
aufrechterhalten blieb[68]. Er
hätte wieder auf seine Stellung als eine Art militärischer Zeremonienmeister,
der die Paraden in Potsdam inszenierte und die Konduitenlisten führte,
beschränkt werden müssen. Die Grundforderung Massenbachs, den Generaladjutanten
beim König wie bei dem kommandierenden General auszuschalten und dem
Generalquartiermeister als Chef des Generalstabs ständigen Immediatvortrag zu
sichern[69], war
nicht erfüllt worden. Mit Bedauern stellt Massenbach fest, daß in der neuen
Instruktion für den Generalquartiermeisterstab weiterhin
„der jedesmalige
Generaladjutant des Königs die höchst wichtige Rolle fortdauernd spielen
konnte, die er bisher zum Nachtheil des Königs und zum Verderben des Staates
gespielt hatte“ [70].
Neben
dieser alten Führungsordnung darf der Generalstab ohne entscheidenden Einfluß
auf die militärische Führung seinen Platz einnehmen. Er kann auch unbedenklich
raisonnieren, solange er die neuralgischen Punkte der Heeresverfassung und der
alten Kriegsanschauung nicht antastet und die handwerksmäßigen, überkommenen
Aufgaben zur Zufriedenheit der Praktiker erfüllt. In ihm vermag sich der
kritische Geist der Pepiniere hemmungslos auszubreiten, hier können die
verschiedensten Auffassungen frei zur Geltung kommen. So verwirklicht die alte
Generalität den Generalstab gerade in der ihr trotz aller grundsätzlichen Bedenken
weniger gefährlich erscheinenden Form einer in akademischer Freiheit
schaltenden und waltenden „Pepiniere“, um einem Generalstab in der Gestalt
eines „Jesuitenordens“ zu entgehen.
In der Tat wurde auf drei
scharf voneinander getrennten Kriegstheatern nach drei verschiedenen
Kriegstheorien geforscht, gelehrt, gesammelt und registriert. Hier kam die
schädliche Rivalität einander bekämpfender Schulen zum Zuge, die ihre Anhänger
und ihre Schüler in den maßgeblichen Stellen unterzubringen versuchten[71]. So
verfolgte etwa Phull, dem das ostpreußische Kriegstheater unterstand, mit Hohn
und Spott die Arbeiten seines Kollegen Massenbach, dem das schlesische
Kriegstheater zugewiesen war, und berechnete, daß er bei der Durchführung der
Massenbachschen Methode in dem ihm unterstellten kleinsten Kriegstheater 56
Jahre brauchen würde, um die topographischen Vorbedingungen für einen einzigen
Feldzug zu schaffen[72].
Phull selbst, der „das Wort Position nicht einmal hören wollte“[73],
gründete als Schüler Tempelhoffs seine Pläne und Operationen auf ein
mathematisches System von Magazinverpflegungsradien, innerhalb deren sich die
Operationen zu bewegen hatten[74].
Valentini, der dem Massenbachschen schlesischen Kriegstheater zugeteilt war und
das gesamte Treiben genau beobachten konnte, vergleicht die Tätigkeit dieses
Generalstabs, wo „ein jeder nach seiner Neigung arbeitet“, mit dem „Bild vom
Thurm zu Babel”[75].
Äußerlich hielt den
Generalstab in seinem Verhältnis zur Generalität ein formaler Gehorsam
zusammen. Ausdrücklich stellt die Instruktion für den Generalstab fest, daß
„die Grundveste des
preußischen Militärs vorzüglich auf der strengsten Subordination und auf der
pünktlichen Befolgung der Befehle eines jeden Obern beruht“ (&8)
und
verlangt von den Offizieren des Generalstabs, daß sie
„als ausgezeichnete Männer, die Wichtigkeit davon um so richtiger
ein sehen, und anerkennen, mithin diese Pflicht stets gegen ihre Vorgesetzten
sowohl im Generalquartiermeisterstabe als in der Armee vor Augen haben und sich
auf keine Weise von derselben entfernen werden“.
Im
übrigen appellierte man an das Taktgefühl der Generalstabsoffiziere und sprach
die Hoffnung aus, daß sie sich bemühen würden, Achtung und Vertrauen der
Generale, denen sie zugestellt seien, zu erwerben, um auf diese Art und Weise
Konflikte zwischen ihrer Tätigkeit als Berater und dem Prinzip der
Subordination überhaupt nicht aufkommen zu lassen.
Mit
seiner politischen Zielsetzung, die geistige Diktatur des Generalstabs zu
begründen und das steuerlose Schiff der preußischen Armeeführung unter sein Kommando
zu bringen, war Massenbach gescheitert.
[32] Vgl. S. 130 ff. dieses Buches.
[33] Görlitz, W., Der deutsche Generalstab, 1951, S. 17.
[34] In ihrem ersten Abschnitt enthält sie eine
Vorschrift, „worauf die Ingenieur-Geographen und Kolonnen-Jäger bei
Rekognosziren und bei der Rapport- Erstattung zu sehen haben". Der zweite
Abschnitt behandelt dasjenige, was die „Kolonnen-Jäger bei Führung einer
Kolonne oder beim Quartiermachen zu beobachten haben“. Eine entsprechende
Instruktion befaßt sich mit der Tätigkeit des Generalquartiermeisters und der
Quartiermeister-Lieutnants im Felde. Ihre Aufgabe besteht im Abstecken des
Lagers für die Armee, im Rekognoszieren von Kolonnenwegen, Führung von Kolonnen
auf dem Marsch, ohne vorherige Rekognoszierung, Einführung der Truppen ins
Lager, Ingenieuraufgaben, Bau von Verschanzungen, der Leitung des Nachrichten
und Spionagewesens u. a. m.
[35] Massenbach an den General von Geusau, 13. April
1802, Acta, HeeresarchivPotsdam, Nachlaß Massenbach, Heft 38, S. 99.
[36] Massenbach an den Oberst von Köckritz, vom 10.
April 1802, ebenda, S.92.
[37] Massenbach an Köckritz vom 6. Februar 1802.
[38] Massenbach, Heft 38, S. 7 und 8.
[39] Scharnhorst, Vergleichung der ehemaligen
Geschäftsführung der miltärischen Oberbehörden mit den jetzigen, a. a. O. Gneisenau
hat das zu dieser Zeit allgemein übliche Beratungssystem mit folgenden Worten
gekennzeichnet:
„Sollte eine strategische Maßregel genommen werden, so
mußte man erst die Häupter des
Generalstabes versammeln und beratschlagen lassen. Trat hier eine Verschiedenheit
der Meinungen ein, so war unter den Dienern Sr. Majestät Niemand vorhanden, der
mit Autorität des Ranges und Verstandes zugleich den Ausschlag geben konnte,
denn der Herzog von Braunschweig entschied über nichts, und huldigte in der Regel, wenigstens äußerlich, der
Meinung des Generaladjutanten. Wenn nun dieser, der eigentlich nicht für die
Geschäfte der höheren Armeeführung, sondern nur für die Wahrnehmung der
persönlichen Verhältnisse der Armee aufgestellt war, zufällig keine Meinung
haben konnte, so blieb die Sache unentschieden und Se. Majestät ohne Rath.“ Gneisenau,
Vergleichung der ehemaligen preußischen Armeeverfassung mit der jetzigen, a. a.
O.
[40] Massenbach, ebenda, S. 202.
[41] Massenbach, ebenda, S. 201, 202.
[42] Kleist an Massenbach vom 14. Mai 1802,
ebenda, S. 116.
[43] Massenbach, ebenda, S. 203.
[44] Vgl. hierzu etwa den Briefwechsel zwischen
Massenbach, Phull, Geusau, Moellendorff und Kleist, Acta, Heeresarchiv Potsdam,
Nachlaß Massenbach, Nr. 38, III.
[45] Valentini an Berenhorst vom 31. März 1804, a. a.
O., Bd. I, S. 159.
[46] Massenbach, ebenda, S. 64 ff.
[47] Acta, betreffs Gutachten mehrerer Generale über das
von Oberst von Massenbach an Seine Majestät eingereichte Projekt betreffs die
Neuorganisation des Generalquartiermeisterstabes, Heeresarchiv Potsdam, Altes
Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 58.
[48] Ebenda, S. 30.
[49] Ebenda, S. 35.
[50] Ebenda, S. 60, 61.
[51] Ebenda.
[52] Ebenda.
[53] Ein Argument, auf das im übrigen Knesebeck dringend
jedem dieser Generale die Frage zur Selbstbeantwortung empfahl: „Ist er
Friedrich der Große?“ Massenbach, Heft 38, S. 42
[54] Ebenda, S. 135.
[55] Ebenda
[56] Vgl. die instruktiven Bemerkungen Zastrows zu
Massenbachs Plänen, Heft 38, S. 136.
[57] Zastrow, ebenda, S. 170
[58] Ebenda, S. 136
[59] Brenkenhoff, A. Paradoxa, größtenteils
militärischen Inhalts, 1, Auflage 1780, zit. nach 3. Auflage, 1798, S. 27
[60] Vgl. Höhn, R. Revolution, Heer, Kriegsbild, a. a.
O., S. 215, S. 230ff.
[61] Massenbach an Zastrow, 15. August 1802
[62] Knesebeck, Über Bonapartes Feldherrn-Eigenheiten,
Acta, Heeresarchiv Potsdam, Nachlaß Knesebeck, Nr. 25.
[63] Acta, betr. die Einrichtung von General-Kommandos
des Quartiermeisterstabes und der General-Adjutanten, 1803-1817, Heeresarchiv
Potsdam, Altes Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 70.
[64] Dazu in der praktischen Durchführung Acta, betr.
Beurteilung junger Offiziere für den Generalstab, 1801-1804, Heeresarchiv
Potsdam. Altes Kriegsarchiv Kap. 45, Nr. 76, sowie die „Conduitenlisten der
Offiziere, welche in Potsdam geprüft worden sind, behufs Vermehrung des
Generalquartiermeisterstabes 1805“, Acta, Heeresarchiv Potsdam, Altes
Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 77. Vgl. insbesondere die Beurteilung von Müffling,
Valentini, Rühle, Boyen und Schöler.
[65] Schreiben Friedrich Wilhelms an Geusau vom 1.
Februar 1804, ebenda, S. 28.
[66] „Die ostpreußische Brigade soll das südpreußische
und schlesische Kriegstheater bereisen, also die Arbeiten der 2. Brigade
kennenlernen, sie prüfen, berichtigen, vervolkommnen, so die 2. die Arbeiten
der., die 3. Brigade die Arbeiten der beiden ersten“ (&11).
[67] Schreiben des Königs an Geusau vom 11. Februar
1804, a. a. O., S.29.
[68] Massenbach, Heft 39, S. 491
[69] Die interessante Begründung lautet: „In Abwesenheit
des Königs hat der Generalquartiermeister diesen unmittelbaren Vortrag beim
kommandierenden General. Geschäfte dieser Art leiden keinen Aufschub und die
Methode, sie dem König oder dem kommandierenden General durch eine
Mittelsperson, welche diese Gegenstände, wegen ihrer übrigen, weitläufigen und
dringenden Geschäfte nicht selbst bearbeitet, und deren Leben dem Studio der
Generalstabs-Arbeiten nicht ausschließlich gewidmet seyn konnte, vortragen zu
lassen, ist dem Gang dieses Geschäfts äußerst nachtheilig, weil nur derjenige,
der eine Sache selbst bearbeitet hat, sie mit der gehörigen Deutlichkeit und
der zweckmäßigen Stärke des Ausdrucks vortragen kann. – Es muß also eine
scharfe Grenzlinie zwischen dem Geschäftskreis des Generalquartiermeisters,
besonders im Kriege, gezogen werden. Diese beiden ersten Geschäftsmänner des
Königs oder des kommandierenden Generals müssen aber Freunde und Männer seyn,
die von jenem edlen Patriotismus beseelt sind, der keinen Egoismus kennt.“
Ebenda, S. 182.
[70] Ebenda, S. 400.
[71] Vgl. die Prüfungsakten für die Übernahme in den
Generalstab aus dem Jahre 1804, Acta, Heeresarchiv Potsdam, Altes Kriegsarchiv,
Kap. 45, Nr. 76.
[72] Valentini an Berenhorst vom 31. März 1804, a. a.
O., Bd. 1, S. 159.
[73] Valentini an Berenhorst vom 22. April 1808, a. a. O.,
Bd. 2, S. 131i.
[74] Scharnhorst äußert sich später zu Tempelhoffs
Annahme, daß man „aus einer willkürlich angenommenen Anzahl von Brot- und
Proviant-Wagen alle Bewegungen, welche eine Armee unternehmen könnte“, zu
bestimmen vermöchte, folgendermaßen:
„Er dachte sich die Verpflegung als die Centripedal- und
die Operation als die Centrifugal-Kraft,
wo bei 15 Meilen Halbmesser das Gleichgewicht erfolgte. Über den hübschen Kalkul vergaß man tausend
Erfahrungen, welche diesem widersprechen. Diese
Krankheit war so epidemisch, daß die gesundesten Körper von ihr ergriffen wurden.“
In „Über die Taktik der
Infanterie“ (1811), Acta, Heeresarchiv Potsdam, Nachlaß Scharnhorst B 429.
[75] „G. v. Scharnhorst wird sich wohl begnügen, in der
Gegend des Brocken – denn weiter dürften ihn die Franzosen wohl nicht lassen –
eine Vorlesung zu halten. So arbeitet denn also ein jeder nach seiner Neigung,
und wir haben das Bild vom Thurm zu Babel erneuert.“ Valentini an Berenhorst,
ebenda