Der Advokat, der Professor und die Shylocks des Internationalen Währungsfonds

Immer klagender läßt sich der ›Gesang vom lusitanischen Popanz‹ vernehmen. Portugal steht vor dem Staatsbankrott. Wie die Türkei, Peru und noch so viele andere Länder der westlichen Hemisphäre, die seit einem Jahrzehnt an der Schwelle zu einer bescheidenen industriellen Entwicklung und Modernisierung der Landwirtschaft auf der Stelle treten.

Die Nachfahren Vasco da Gamas erwischte es besonders schlimm. Nach Jahrzehnten melancholischer Träume von einer Zukunft ohne Salazars Polizei, ohne die Kirche, den Kolonialkrieg und die müßiggängerische Oligarchie waren sie von revoltierenden Offizieren in den Strudel ungestümer politischer und gesellschaftlicher Erwartungen hineingerissen worden. Von diesem roman(t)ischen Freiheitsdrang zeugt heute noch die fortschrittlichste ›sozialistische‹ Verfassung der Welt. Das Armenhaus Europas, von den Europäern diesseits der Pyrenäen fast schon vergessen, gab sich eine neue Verfassung und teilte den westeuropäischen Nationen in der EG mit, daß es am Aufbau des Vereinigten Europa teilnehmen will. Drei Monate vor seinem Sturz sagte Ministerpräsident Soares: »Es kann nicht verhehlt werden, daß die Lage der portugiesischen Wirtschaft Anlaß zu gewisser Besorgnis gibt. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Entwicklung des Landes ungleichmäßig verlaufen, es gab Zeiten schnellen Fortschritts und andere, in denen es langsam voranging. Noch bis vor wenigen Jahren beruhte die Struktur des Sozialproduktes grundlegend auf der Landwirtschaft, und die seither erfolgte Entwicklung war nicht geeignet, den Stand der sogenannten industrialisierten Länder Europas zu erreichen. Dazu kam noch, daß die 1974 begonnene Wirtschaftskrise besonders den Ländern zu schaffen machte, die – wie unser Land – Nettoimporteur von Rohstoffen sind. Die politischen und sozialen Veränderungen, die seit 1974 eintraten, führten – wie nicht anders zu erwarten – zu Störungen der wirtschaftlichen Entwicklung...

Heute ist sich Portugal auch darüber im klaren, daß Europa die ihm in der Welt zukommende Rolle nur beibehalten kann, wenn es geeint ist. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie, und der Konsumbedarf, von denen das Ausmaß der Wirtschaftstätigkeit abhängt, einerseits und die Konkurrenzzwänge andererseits, die sich aus der Entstehung und Behauptung der Supermächte ergeben, haben endgültig das Todesurteil über die kleinen Wirtschaftsräume gesprochen. Die Regierungen Westeuropas mußten erkennen, daß die gemeinsame Kultur und Zivilisation ihre Länder unweigerlich in die Richtung einer intensiven Zusammenarbeit untereinander wies, und sie kamen nicht umhin, ihre Kräfte in gemeinsamer Ausnützung ihrer Reichtümer und Möglichkeiten zu vereinigen, da sie sonst Gefahr laufen, das Wohl der von ihnen regierten Völker aufs Spiel zu setzen.«

Wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Modernisierung des lusitanischen Anachronismus im Rahmen des integrierten Europa – das war das Programm, mit dem sich die Sozialistische Partei des Mario Soares von einer Emigrantengruppe zur stärksten Partei der jungen portugiesischen Demokratie entwickelte. Zweieinhalb Jahre lang haben ihm seine Wähler das geglaubt, obwohl die Tatsachen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Portugals nach der Liquidierung des letzten Kolonialreiches dieser Erde eine nüchternere Sprache empfahlen als die blumigen Reden des sozialdemokratischen Advokaten. Wie lange sie sich noch von Mario Soares zu lusitanischen Träumereien verführen lassen werden, ist nun sehr fraglich geworden. Der wendige Schaukelpolitiker will mit den ›Zentrumsdemokraten‹ des Rechtsprofessors Freitas do Amaral, der Rechten im portugiesischen Parteienspektrum, eine Koalition bilden. Er läßt sich auch schon wieder optimistisch vernehmen: »Diese Regierung hat alle Voraussetzungen für eine lange und stabile Regierungszeit.«

Es kann wohl nicht sein Ernst sein. Der andere Jurist, mit dem zusammen er jetzt die Regierungsgeschäfte verwalten will, der Professor do Amaral, steht einer Partei vor, deren Anhänger und ›Hintermänner‹ noch vor zweieinhalb Jahren die Parteien der Arbeiterbewegung mit Terror, Brandstiftung, Hetze und Gewalt befehdet haben. Eine Partei, die unter anderem Firmenschild die sozialen und politischen, vor allem aber auch die klerikalen Stützen des Salazarismus neu gruppierte und mit Hilfe der ›Kaziken‹, der katholischen Kirche und der besorgten (›atlantischen‹) ›teilnehmenden Beobachter‹ die nordportugiesischen Kleinbauern gegen all die politischen Gruppen aufhetzte, die damals für das gekämpft hatten, was heute – allerdings nur auf dem Papier – in der portugiesischen Verfassung steht. Damals sprach Soares von den Gefahren faschistischer Reaktion. Hat er heute mit der Reaktion seinen Frieden gemacht? Ist er nach Canossa gegangen, um vielleicht künftig die Hilfe des Vatikans bei seinen Seelenmassagen in Anspruch zu nehmen? Denn es wird wohl darauf ankommen, dem portugiesischen Volk verständlich zu machen, daß nach drei Jahren Frühlingserwachen aus dem langen salazaristischen Dämmerschlaf bald eine neue Diktatur über Portugals Staat und sein träumendes Volk verhängt werden wird: die Diktatur der Shylocks vom Internationalen Währungsfonds. Die Herren Buchprüfer in Washington sind ungeduldig geworden. Die Industrie hat kaum einen bescheidenen Zuwachs an Wertschöpfung erreicht; die Genossenschaftsbauern haben die – zum großen Teil von den enteigneten Latifundisten brach liegen gelassene – Landwirtschaft einigermassen in Gang gebracht; da wird Soares vom IWF recht unsanft an die Regeln der internationalen Buchführung erinnert. An ihn ergeht die Aufforderung, sich im portugiesischen Parlament gefälligst einen Partner zu suchen, der mit ihm für die Sanierung der Staatsfinanzen haftet.

Freilich: der IWF hat einige vollstreckbare Titel. Ebenso möchten einige nicht unwichtige Privatbanken ihre Forderungen sichergestellt wissen. Aber in einer kapitalistischen Demokratie gehört zum Gerichtsvollzieher, dessen Aufgaben die ›Sachverständigen‹ des IWF – mit etwas höherer Besoldung und schickeren Anzügen – versehen, noch die unvermeidliche Koalitionsregierung, die dem Volk gegenüber die Notwendigkeit der ›Austerität‹ vertritt. In armen, heruntergewirtschafteten Ländern wie Portugal sind Volksvertreter dann jene Parlamentarier und Minister, die die Forderungen und Auflagen der ›lWF-Experten‹ dem Volk gegenüber vertreten müssen... Sollte das Volk aber murren und nicht wollen, sich gar zur Wehr setzen, so hat der US-amerikanische Senat vorgesorgt. Unter dem Vorsitz des kürzlich verstorbenen Hubert Horatio Humphrey wurden im Dezember 1977 im Auswärtigen Ausschuß 34,5 Mio Dollar für eine lufttransportierte Eingreifbrigade bewilligt. – Wozu ? Um das Vertrauen in den Demokratisierungsprozeß« in Portugal zu stärken. Denn Vertrauen – Kredit – ist lebenswichtig für ein Land, das bankrott zu gehen droht.

Man wird wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß, abgesehen vom nunmehr verstorbenen Humphrey, Mario Soares und sein neuer Koalitionspartner Freitas do Amaral in der Befürchtung einig sind, daß die portugiesischen Einheitsgewerkschaften Intersindical, die Landarbeiter im Alentejo, aber auch eine wachsende Zahl von Anhängern der Sozialistischen Partei unter den städtischen Mittelschichten, so unvorsichtig sein könnten, das Vertrauen des IWF in die portugiesische Staatsführung zu verspielen. »Geld regiert die Welt.« In dieser Einsicht werden sich wohl der Vorsitzende der Sozialistischen Partei und der Vorsitzende der Zentrumsdemokraten getroffen und sich nolens volens zur Bildung einer Koalition zusammengerauft haben.

Doch dürfte spätestens an diesem Punkt der portugiesischen politischen Entwicklung die Frage erlaubt sein, wie denn die Manager des Welt-Geldes die Welt regieren. Die übliche Antwort darauf dürfte lauten: nach den Regeln der Zahlungsbilanzbuchhaltung, selbstverständlich mit doppelter Buchführung. Doch scheinen sich die Bankangestellten dieser Regeln nicht mehr ganz sicher zu sein. Vorsichtshalber haben sie zum Studium des ›Nord-Süd-Konfliktes‹ unter dem Vorsitz des Präsidenten der Sozialistischen Internationale eine Kommission zusammengestellt, die sich gründlich, unbefangen und in aller Ruhe mit Ursachen und Lösungsmöglichkeiten dieses ›Konfliktes‹ befassen soll. Es könnte durchaus sein, daß diese Kommission nach ihrer bestimmt sehr sorgfältigen Arbeit einmal herausfinden wird, daß der ›Nord-Süd-Konflikt‹ – die Zahlungsunfähigkeit fast aller ›Entwicklungsländer‹ – nur dadurch zu lösen ist, daß man den Bankrott des IWF und der Weltbank erklärt und diesen Institutionen das ›Vertrauen‹ entzieht...

Rezitativ und Arie

Auf der Jahrestagung von IWF und Weltbankgruppe in Washington sagte Weltbankpräsident McNamara, zugleich derjenige, der die Bildung der von Willy Brandt geleiteten Nord-Süd-Kommission angeregt hat: »Die Tragik der Situation der absolut ärmsten (dazu gehört auch das heruntergewirtschaftete Portugal) besteht darin, daß sie in einer sozialen und ökonomischen Zwangslage gefesselt sind, aus der sie sich mit eigener Kraft nicht befreien können. Hunderte von Millionen von ihnen können weder lesen noch schreiben, sind sehr unterernährt, haben keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, haben kein Dach über dem Kopf und keine sinnvolle Arbeit. Ihre dringendsten menschlichen Bedürfnisse bleiben einfach unerfüllt. Für diese hunderte von Millionen ist der Entwicklungsprozeß gescheitert. Und er wird immer wieder scheitern, solange man nicht die Ursachen der absoluten Armut selbst direkt angeht und beseitigt.«

Weiter führt er aus: »Den ärmsten Ländern steht die mühsame Aufgabe bevor, die früheren Wachstumsraten ihrer Pro-Kopf-Einkommen wieder zu erreichen. Allein um ihr durchschnittliches historisches Wachstumsniveau von zwei (!) Prozent zurückzuerlangen, müssen sie das Wachstum ihrer Exporteinkünfte verdoppeln, und auch der Kapitalzufluß der öffentlichen Entwicklungshilfe muß über die nächsten acht Jahre hin um 50 Prozent in realen Werten ansteigen. Ohne diese sich gegenseitig ergänzenden Aktionen sind die Aussichten für die ärmsten Länder, in denen über eine Milliarde Menschen leben, in der Tat düster.« Daraus dann die Schlußfolgerung: »Wirtschaftliches Wachstum ist selbstverständlich eine notwendige Voraussetzung der Entwicklung, es ist jedoch keine in sich hinreichende Bedingung. Ohne Wachstum kann nicht viel getan werden. Allerdings bleibt leider auch mit vorhandenem Wachstum vieles ungetan. Das ist es, was in vielen Entwicklungsländern in den letzten 25 Jahren geschehen ist. Wachstum hat stattgefunden, einige Länder sind sogar recht schnell gewachsen, aber den wirklich Benachteiligten hat das Wachstum nicht spürbar geholfen, ihrer Armut zu entrinnen. Was darum dringend nottut, ist, daß die Regierungen der Entwicklungsländer Programme einführen, die den Armen helfen, ihre Produktivität zu steigern und die ihnen einen gerechteren Zugang zu lebenswichtigen öffentlichen Institutionen sichern. Diese enormen Aufgaben können die Entwicklungsländer jedoch nicht allein bewältigen. Sie brauchen dazu mehr Hilfe als bisher von den entwickelten Ländern.«

Soweit der Präsident der ›lnternationalen Bank für Aufbau und Entwicklung‹. Seit er vom Pentagon – von wo aus er insbesondere den »wirklich Benachteiligten« in Süd- und Nord-Vietnam »zu helfen versuchte, ihrer Armut zu entrinnen« – in diese neue Position übergewechselt ist, hält er jedes Jahr von neuem einen ähnlichen Vortrag.

Aber auch ein ganz anderer Vortrag wird jedes Jahr aufs Neue bei diesem Treffen gehalten. Da hat z. B. Johannes Witteveen das Wort, seines Zeichens geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds:

»In der gegenwärtigen komplexen (!) Situation gibt es keine einfachen Lösungen für die Probleme, die sich aufgrund der schleppenden Investitionen und des langsamen Wirtschaftswachstums ergeben.« Nachdem er das mitleiderheischende Ungestüm des Weltbankpräsidenten gedämpft hat, bemerkt er weiter sehr scharfsichtig: »Die Probleme stehen miteinander in Verbindung, und der Schwerpunkt der verfolgten Politik liegt natürlich in jedem Land anders.«

Nicht annähernd so komplex scheint ihm die Handhabung der Inflation zu sein: »Angesichts der derzeitigen hohen Inflation, kombiniert mit wirtschaftlicher Flaute, dürfte es für die Regierungen besonders notwendig sein, ihr möglichstes in dem schwierigen (etwa doch wieder komplexen?) Bereich der Einkommenspolitik zu tun. In diesem Zusammenhang bietet der spürbare Rückgang bei den Rohstoffpreisen, der Mitte 1977 eintrat, eine gute Gelegenheit, eine Verlangsamung von Lohn- und Preissteigerungen zu erreichen. Diese Tendenz könnte in den Ländern, wo das nötig ist, durch fiskalpolitische Anreize in Form von Steuersenkungen verstärkt werden. Bei der Planung und Ausführung der Einkommenspolitik könnte man sich bemühen, diese beiden Elemente so einzubeziehen, daß man die größtmögliche Wirkung auf die Lohn- und Preisbewegungen erzielt.«

Steuersenkungen? Einkommenspolitik? Etwa auch für die Entwicklungsländer? - Nein, der oberste Bankdirektor meint das komplexer und differenzierter. Denn für Länder wie Portugal gilt eine andere ›Strategie‹: »Eine Anzahl von Ländern sieht sich derzeit großen Zahlungsbilanzungleichgewichten gegenüber. Wenn ausreichende Programme für die innere und äußere Anpassung fehlen, würde sich ihre Situation einfach verschlechtern. (Witteveen spricht natürlich nur von der ›Zahlungsbilanz-Situation‹, also der Situation der Staatsfinanzen.) Diese Länder müssen dringend politische (sic!) Maßnahmen ergreifen, die eine Reduzierung ihrer Leistungsbilanzdefizite auf ein Niveau garantieren, das eine Finanzierung durch dauerhafte Kapitalströme (von Herrn McNamaras Weltbank zum Beispiel und den Privatbanken in New York, London, Paris und Frankfurt) und eine zu bewältigende Außenverschuldung möglich macht.«

Soweit der geschäftsführende Direktor (mit beschränkter procura) über die Möglichkeit, ›dauerhafte Kapitalströme‹ in Länder wie Portugal zu lenken, von wo bekanntlich so mancher erkleckliche ›Kapitalstrom‹ nach dem 25.April 1974 nach Brasilien oder sonstwohin geflossen ist, als den Inhabern dieser ›Kapitalströme‹ das ›Kapital-Klima‹ in Portugal zu schwül geworden war. Wer bei Herrn Witteveen ›Kapitalströme‹ liest, mag an Riesensummen denken. Weit gefehlt! Es fängt, bei den gemeinten, auf Dauer angelegten Kapitalströmen, mit 50 Millionen Dollar an, wenn die Auflagen des Kapitals angenommen worden sind. Ganz so üppig scheinen die Mittel des IWF doch nicht zu sein, wenn auch zu den Refinanzierungsmitteln des Fonds mittlerweile die ›Fazilität‹ gekommen ist, die seinen Namen tragen darf. Neben den lumpigen 50 Mio Dollar, die der Fonds großzügig aufzubringen bereit ist, wird aber der Löwenanteil des ›Vertrauens‹, das man der neuen Soares-Regierung gern entgegenbringen möchte, von westlichen Staaten, d.h. von den jeweiligen Steuerzahlern aufgebracht: 750 Millionen Dollar. Die Erklärung dafür, warum der Internationale Währungsfonds so knauserig ist, seine Austeritätsauflagen aber unter der Bezeichnung ›Anpassungprozeß‹ munter in die Höhe schraubt, liefert Witteveen im Schlußabsatz seiner Rede vor den Verwaltern der letzten Reste des Währungssystems von Bretton Woods:

»Die Tatsache, daß der Fonds in den letzten Jahren Kredite aufnehmen mußte, weist darauf hin, daß die Zunahme der Quoten des Fonds nicht mit dem Wachstum des Handels (Handel womit? Mit Geld oder Gütern?) und der Zahlungen und mit den Ungleichgewichten in den außenwirtschaftlichen ›Transaktionen‹ der Mitglieder Schritt gehalten hat. Das ist zur Genüge nachgewiesen worden, nicht nur durch den Druck auf die Liquidität des Fonds, sondern auch durch die Notwendigkeit der Errichtung von Fazilitäten, die die Mitglieder in die Lage versetzen, die Fondsmittel weit über die ihrem Quotenanteil am Fonds entsprechende Summe hinaus in Anspruch zu nehmen. ( – Während Portugal seine gesamten Goldbestände abtreten mußte. – ) Während die Kreditaufnahme im Rahmen der zusätzlichen Finanzierungsfazilität zur Bewältigung dieser Situation in den nächsten zwei Jahren beitragen wird, ist es dringend notwendig, daß die Lösung auf die Dauer in einem angemessenen Quotenniveau und nicht so sehr im Vertrauen auf besondere Kredite gesucht wird. Ich hoffe, daß die gegenwärtigen Diskussionen über die siebente Quotenüberprüfung zu einem wichtigen Schritt in diese Richtung führen werden...«

Demjenigen, der bei diesem Treffen in Washington die Geduld aufzubringen imstande war, beiden Vorträgen zuzuhören, kann das Gehörte durchaus den Krankheitskeim für eine bleibende Schizophrenie eingegeben haben. Fragt einer noch, wo die ›Grenzen des Wachstums‹ liegen? Sie liegen in der tatsächlichen Schizophrenie der internationalen Finanz- und ›Refinanzierungs‹-Institutionen. Die Grenzlinie verläuft zwischen dem letzten wehklagenden Satz von McNamara und dem ersten ›realistischen‹ Satz von Witteveen. Aus ›Fazilitäten‹ entstehen eben keine (Produktions-) Kapazitäten! Und dieses Problem soll die ›Nord-Süd-Kommission‹ untersuchen und gar lösen? Sie könnte es sich, vor allem mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, einfach machen und, statt eines langen Untersuchungsberichtes, auf Bütten, in allen abendländischen ›Kultursprachen‹, das alte Sprichwort drucken lassen:

Kredit hat nur der, der ihn gar nicht braucht. Wer ihn dringend braucht, genießt nur wenig Vertrauen.

Bald wird auch der Internationale Währungsfonds keinen ›Kredit‹ mehr haben...

Einstweilen gelten jedoch seine ›Anpassungsregeln‹. Zwar nicht zum Beispiel für den US-Dollar, den in Zukunft vor allem die Devisenreserven der Deutschen Bundesbank stützen werden, aber sie werden gelten für den portugiesischen Escudo – und für Portugals arbeitende Klasse: für die Genossenschaftsbauern im Alentejo, sehr bald auch für die überschuldeten Kleinbauern in Portugals Norden - und nicht zuletzt für die Industriearbeiterschaft in der Umgebung von Lissabon. Drastische Kürzung von Staatsausgaben, Drosselung des lebenswichtigen Imports, Einfrieren der Löhne auf der Hälfte der gegenwärtigen Inflationsrate und schließlich Drosselung des im letzten Jahr erreichten Wirtschaftswachstums auf die Hälfte der für 1977 festgestellten sechs Prozent des Sozialproduktes: solcher Aberwitz wird nur zu noch größerer Verelendung des portugiesischen Volkes und zu verstärkter Zahlungsunfähigkeit führen. Soares jedoch, der allzeit zur Stelle eilende Rechtsanwalt, besitzt die Tollkühnheit – oder Unverfrorenheit – zu versichern, seine angestrebte neue Regierung werde stabil sein. Portugals Wirtschaft ist, mit Ausnahme der Industriezentren um Lissabon, an der Wende zum 19. Jahrhundert stehengeblieben. Aus unterschiedlichen Gründen wehren sich die Volksdemokraten Sa Carneiros, die Einheitsgewerkschaft Intersindical und die Kommunistische Partei dagegen, daß es auf Geheiß des IWF dabei bleibt. Zur Sicherung der jungen politischen Demokratie – auch gegen manche Übergriffe der Kommunisten – ist Mario Soares` Sozialistische Partei 1975 von der europäischen Sozialdemokratie unterstützt worden. Wenn er sich heute anschickt, mit seinem neuen Koalitionspartner die Auflagen des IWF zu vollstrecken, wird vom Programm der ›Modernisierung‹, für das er damals in der Bundesrepublik Goodwill erzeugen wollte, nichts mehr übrigbleiben. Er wird gerade den Schichten des arbeitenden Volkes das ihm vom IWF aufgezwungene ›Austeritätsprogramm‹ auferlegen müssen, die bislang seine Minderheitsregierung gestützt haben: den Wählern der Sozialistischen und Kommunistischen Partei. Er wird überdies gezwungen werden, der Einheitsgewerkschaft Intersindical all jene Errungenschaften wieder zu entreißen, die von der Arbeiterbewegung im Gefolge des 25. April erkämpft worden sind. Darf die europäische Arbeiterbewegung das zulassen?

Wenn der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und nicht zuletzt der DGB ein Interesse daran haben, daß das portugiesische Volk, die portugiesische Arbeiterbewegung den Anschluß an die europäischen Gemeinschaften finden, so müssen sich die Verantwortlichen in diesen Gewerkschaftsorganisationen sehr bald etwas einfallen lassen zu der Frage, ob und wie sie den gewiß erbitterten Widerstand, den die portugiesische Gewerkschaftsbewegung ebenso wie die südportugiesischen Landarbeiter der drohenden ›Einkommenspolitik‹ entgegensetzen werden, unterstützen können.

Die ›Verfassung‹ der portugiesischen Republik steht derzeit nur auf dem Papier. Bald könnten auch die wirklichen Rechte, die sich die Arbeiterbewegung Portugals in den letzten drei Jahren erstritten und zum größeren Teil auch noch bewahrt hat, bloße Vergangenheit sein. – Das gilt es zu verhindern! Noch besteht die Möglichkeit, dem Zusammenhalt der Einheitsgewerkschaft Intersindical von Nordwesteuropa aus den nötigen Rückhalt zu geben und über andere wirtschaftspolitische Maßnahmen hinaus nicht nur zur Sanierung, sondern zur Entwicklung der portugiesischen Wirtschaft und zu ihrer Eingliederung in die EG konstruktive Gedanken zu entwickeln. In erster Linie aber geht es darum, wie die Gewerkschaften in der EG die Intersindical in künftigen Auseinandersetzungen unterstützen können. Denn die Gewerkschaftsbewegung in Portugal darf nicht allein gelassen werden.

Es darf auch kein Hindernis für die Gewerkschaften Nordwesteuropas sein, daß die Kommunistische Partei, der man mit Fug und Recht eine Reihe waghalsiger und undemokratischer Abenteuer des Jahres 1975 vorwerfen kann, in der Einheitsgewerkschaft Intersindical einen großen Einfluß ausübt. Denn je bereitwilliger EGB und IBFG der portugiesischen Einheitsgewerkschaft bei künftigen Auseinandersetzungen zu Hilfe kommen werden, ( – schließlich ist auch Portugals Arbeiterbewegung ein Teil der europäischen Arbeiterbewegung – ), desto eher wird es möglich sein, den Einfluß der Kommunistischen Partei zu korrigieren, wenn dies notwendig würde. Zu wünschen wäre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Erarbeitung wirtschaftspolitischer Alternativen im Rahmen der EG und solidarischer Hilfe für die portugiesische Arbeiterbewegung, ja, es wäre zu fordern, wenn die arbeitende Klasse Portugals (was vermutlich bald geschehen dürfte) gezwungen wird, die nach dem Sturz des Caetano-Regimes erkämpften Errungenschaften mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Nicht zuletzt die Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur sollten uns gelehrt haben, wie wichtig es ist, die gesellschaftlichen, die klassenpolitischen Grundlagen einer demokratisch-republikanischen Verfassung beizeiten zu sichern.

Die soziale Demokratie, wie sie von den Gewerkschaften hierzulande angestrebt wurde und wird, - und die allerdings jetzt mit der Verfassungsklage der Arbeitgeber einen schweren Rückschlag erlitten hat, wird unter anderem auch in Portugal verteidigt werden. Darauf sollten sich die großen Arbeiterorganisationen in der EG beizeiten vorbereiten.