Subversive Wirkungen und Gegenwirkungen der
Säkularisierung
von David Hartstein
Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich
im Modus der Übersetzung. Das ist es, was der Westen als weltweit säkularisierende
Macht aus seiner eigenen Geschichte lernen kann. Sonst wird der Westen auch der
arabischen Welt nur als Kreuzritter einer konkurrierenden Glaubensmacht oder
als Handelsreisender einer instrumentellen Vernunft, die jeden Sinn unter sich
begräbt, erscheinen.
Jürgen
Habermas in seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche
Die deutsche Volksvertretung hat am 19. September
dem amerikanischen Volk ein Versprechen gegeben, worauf sich die
Bundesregierung in ihrem Antrag an den Bundestag vom 7. November nun beruft. Zu
diesem Versprechen, das wiederum die deutsche Bundesregierung, auch unter
Anrufung des Kernsatzes der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, unter dem
Eindruck der menschenverachtenden Selbstmord-Luftangriffe auf die Vereinigten
Staaten von Amerika seither mehrfach bekräftigt hat, gehört auch die
»Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des
internationalen Terrorismus«. Dieses Versprechen ist sowohl von der
amerikanischen Öffentlichkeit als auch in den Verfassungsorganen dankend
entgegengenommen worden. Man wird es nicht als »Nibelungentreue« diffamieren
können, wenn dieses Versprechen gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegner und
Befreier nun eingelöst wird. Und wer unter den Staatsschauspielern in Berlin
sich dazu bei der Abstimmung nächste Woche nicht in der Lage sieht, sollte auch
gleich aussprechen, daß ihm weder die Beteiligung an der Regierung noch eine
tragfähige und auch in kritisch-hysterischen Zeiten mit Geduld erhaltene
deutsch-amerikanische Freundschaft daseinswichtig ist. Mit ihnen läßt sich in
der zweiten deutschen Republik kein Staat machen. Denn die
deutsch-amerikanische Freundschaft ist mindestens die instrumentelle Vernunft
dieses Staates (»Staatsraison«), die aus der geschichtlichen Vernunft der »amerikanischen«
Unabhängigkeitserklärung heraus begründet ist: Leben, Freiheit und Streben nach
Glück. Diese »Bürgschaft« müssen die Deutschen halten.
Wohl kann, wer beabsichtigt, dem Antrag der
Bundesregierung im Bundestag nächste Woche die Zustimmung zu versagen, für sich
in Anspruch nehmen, daß eine Teilnahme bewaffneter Deutscher an einem
Bombenzermürbungs- und Entlastungskrieg über dem geschundenen Afghanistan
damals noch nicht vorausgesehen werden konnte und die Zweifel an der Weisheit
der amerikanischen Strategie (wenn es eine solche denn schon gibt) mittlerweile
eine kritische Schwelle überschritten haben. »Solidarität« mit jenen
Abenteurern und Kreuzrittern zu üben, die sich in einem losgelassenen und zu
Wahnsinnsspielen neigenden Propagandaklüngel um das Pentagon (jetzt eher
Tetragon) herum versammeln und den stellvertretenden Verteidigungsminister
Wolfowitz als ihren Vertreter vorschicken, ist ja auch bestimmt nicht die
Absicht des Antrages. Die Wolfowitze würden sich auch verrechnet haben, wenn sie
glaubten, Deutschland in Situationen hineinziehen zu können, in denen die
verfaßten Grundlagen eines bewaffneten Einsatzes deutscher Bürger in Uniform in
der Dynamik der Bündnistreue und Solidarität ein- und fortgerissen würden. Eine
Regierung, die dies der amerikanischen Führung, ob im Pentagon (jetzt eher
Tetragon), State Department oder White House nicht klar zu verstehen gegeben
hätte, bräuchte dann auch nie wieder vor den Bundestag zu treten.
Unaufmerksamkeit, wohlfeile Solidaritätsbekundungen
und mangelnde Voraussicht reichen nicht aus, um jetzt Unwissenheit
vorzuschützen. Jedes Mitglied des Deutschen Bundestages wußte, was vor sechs
Wochen zur Abstimmung stand und daß die daraus resultierenden Taten irgendwann
gefordert werden würden. Die Bundesregierung reibt nun der Vertretung des
deutschen Souveräns unter die Nase, daß der Bundestag »die Resolution 1368
(2001) begrüßt...« habe, »...mit der die Anschläge als eine Bedrohung des
internationalen Friedens und der Sicherheit gewertet werden, gegen die das
Recht der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegeben ist«.
Auf diesem Anspruch gegenüber allen Fraktionen und
Minderheitspositionen aufsetzend, versucht die Bundesregierung nachzuweisen,
daß die Voraussetzungen ihres Antrages völkerrechtsgemäß sind. Was aber hier
vorgetragen wird, ist bestenfalls der eilig kompilierte Schriftsatz eines
Anwalts für sein Anfangsplädoyer und eben nur parteitreu, als was sich
darzustellen die Bundesregierung aus verständlichen Gründen derzeit bestrebt
ist. Völkerrechtlich klar, einwandfrei und abgesichert ist ihre Auslegung aber
keineswegs. Denn weder die Resolution 1368 noch die Resolution 1373 befürworten
in direkter Form eine Selbstverteidigung, zu der die Vereinigten Staaten, nach
ihrem eigenen Dafürhalten legitimerweise, mittlerweile übergegangen sind.
(Verweis http://www.un.org/Docs/scres/2001/res1373e.pdf /Deutsch:
http://www.un.org/depts/german/sr/sr_01/sr1373.pdf)
Es handelt sich selbstredend nur um Resolutionen des
Sicherheitsrates und demzufolge nicht um neu gesetzte Regelungen für alle
Vereinten Nationen. Die können nur von der Generalversammlung verabschiedet
werden. Der Sicherheitsrat hat vielmehr in beiden Resolutionen Aufrufe
erlassen, Appelle und Verpflichtungen niedergelegt, die insgesamt beeindruckend,
bedenkenswert und seinen Befugnissen aus Kapitel VII gemäß sind, er hat aber
weder allgemein noch im besonderen Akte der Selbstverteidigung gebilligt oder
befürwortet, sondern in der Resolution 1368 das Recht auf Selbstverteidigung
nach Artikel 51 lediglich anerkannt und in der Resolution 1373 bekräftigt.
Nach diesen für die Gesamtheit der Vereinten
Nationen Verpflichtung heischenden, aber noch nicht als Verpflichtungen
legitimerten Entschließungen hat sich der Sicherheitsrat mitsamt dem
Generalsekretär in den Hintergrund der New Yorker Bühne verabschiedet. Anstelle
der in Kapitel VII satzungsgemäß vorgeschriebenen Verfahren bei »Bedrohung oder
Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen«, unter denen Artikel 51 nur
einer der zur Friedensstiftung aufgeführten Artikel ist, hat der Sicherheitsrat
alles weitere Handeln den Vereinigten Staaten überlassen. Nicht zum ersten Mal.
Wir kennen das von Perez de Cuellar und dem Generalsekretariat aus seiner
Amtszeit. Für die legitimationsbedürftige Bundesregierung läßt dies eine
Interpretation »as a matter of fact« offen, die ihr weiteres anstrengendes
Nachfragen zur Rolle der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates nach
Verabschiedung der Entschließungen sowie zur Erklärung der Luftangriffe auf
Afghanistan in Ausübung des Rechts zur Selbstverteidigung erspart. So kann man
es auch machen.
Vielleicht sollten sich auch alle Verantwortlichen
im ehemaligen NATO-Bündnis (- das zwar den Bündnisfall erklärt hat, aber für
die Kriegführung der Vereinigten Staaten derzeit und bei Fortbestand der
russischen Haltung gegenüber Europa auch künftig überflüssig ist -) wie auch in
der vom amerikanischen Außenminister Powell zeitweilig zusammengeführten
Koalition jegliche völkerrechtliche Begründung ihres Tuns, Unterstützens und
Unterlassens ersparen. Es kommt in der gegenwärtigen Frontstellung nur
pseudolegale Diplomatik und Propaganda zum Vorschein.
Zum Zeitpunkt des ersten Bombenangriffes auf
militärisch wichtige Ziele in Afghanistan war weder schlüssig bewiesen, daß der
anscheinend schwer nierenkranke, aber zum allgewaltigen Nachfahren der
Seldschuken zurechtphantasierte Bin Ladin (- der dieser islamischen Allgewalt
in seiner Eitelkeit auch teilhaftig zu sein glaubt -) und die von ihm
finanzierte und beeinflußte terroristische Organisation Al Qaida für den
Luftangriff auf das World Trade Center und das Pentagon (jetzt eher Tetragon)
als Urheber, Lenker und Ausführende dieser Operation der irregulären
Kriegführung identifizierbar waren, noch darüber hinaus klar erwiesen, daß das
islamisch-faschistische Regime der Talibane Mitwisser und Komplizen dieser
Anschläge waren.
Eine der stets überspannten »Spinsanities« des
kriegerischen britischen Premierministers Blair war es, seinen Geheimdienst
eine Beweisschrift ausarbeiten und in erlesenen Zeitungen veröffentlichen zu
lassen, in denen die Täterschaft des Bin Ladin für die Verbrechen in New York
und Washington belegt werden sollte. Beim genaueren Lesen stellte sich jedoch
heraus, daß es sich um nichts besseres als einen Cant handelte, der
günstigenfalls vor einer amerikanischen Jury zur Anklageerhebung hingereicht
hätte, für die Rechtfertigung eines Aktes der Selbstverteidigung gegen die
Gebiete der Taliban im schon lange staatslos verelendeten Afghanistan aber
völlig untauglich war. Und worin hätte eigentlich die Rechtfertigung eines
britischen Angriffes gegen das Taliban-Regime bestanden? Gegen welchen Angriff
auf das Vereinigte Königreich hätten Cruise Missiles der Navy eigentlich
Selbstverteidigung geübt? »A government drunk on power«, wie es ein
rebellierendes MP in Britannien ausdrückte? Jedenfalls keine Regierung, die die
Sperrstunde einhält.
Ein
Kriegsbild
Die Kennzeichnung des kriegerischen (und nur bedingt
»militärischen«) Verhältnisses in einem neuen nichtstaatlichen und von
völkerrechtlichen Bedenken völlig ungetrübten Raum findet sich in der knappsten
und treffendsten Form in einer Analyse von Stratfor, in der das künftige
Vorgehen des Pentagon (jetzt eher Tetragon) als »Grand Strategy« entworfen
wird:
There have never been two more dissimilar fighting forces
than those of the United States and al Qaeda. Both have global capabilities,
but these capabilities are utterly different. Al Qaeda`s strength derives from
pure stealth. It is a special operations force designed to survive by
disappearing into the surrounding society and then, at the time and place of
its choosing, strike suddenly. U.S. strength derives from its overwhelming
technology, which allows America to strike where and when it wants. Both sides
enjoy extraordinary freedom of action –
for very different reasons – yet
neither appears able to match its armed forces to its political aims.
Mit dieser
Kriegsbilddarstellung wird zugleich das System beschrieben, auf das sich die in
der amerikanischen Regierung hinter den Kulissen befehdenden Tendenzen in der
neuen historischen Situation nach dem 11. September vorläufig geeinigt haben.
Hier wird der Bedingungsrahmen einer sich verstetigenden asymmetrischen
globalen Polarität konstruiert, deren Unentschiedenheit und wechselseitiges
Ungleichgewicht in Verschränkung miteinander einem ausschließlich mit
militärischen Kategorien zu steuernden Systemmanagement unter den neu
»entstandenen« Rahmenbedingungen unterworfen wird. In Daniel Yergins »Shattered
Peace - The Origins of the Cold War« läßt sich nachlesen, wie die Erzeugung und
Verfestigung bestimmter kognitiver Schemata durch die Magie der
»self-fulfilling prophecy« die Wahrnehmung der Staatenwelt, die globale
Ansammlung der Souveräne prägen und verformen kann. Es dürfte keinem der
verantwortlich Beteiligten im System der globalen Politik daran gelegen sein,
daß sich dieses Subsystem in Ermangelung von Gegenkräften zum Weltsystem
auswächst.
Nachdem das Volk der
Vereinigten Staaten eine Erfahrung gemacht hat, die in mancherlei Hinsicht
einige Ähnlichkeiten mit dem Erlebnis »Dresden« aufweist, sah sich die
permanente Bürokratie der nationalen Sicherheit in Pentagon (jetzt eher
Tetragon) und State Department zuallererst gezwungen, aus einem Zustand der
potentiellen Belagerung (durch einen Gegner, der über »Stealth« verfügt) im
Innern wie außen auszubrechen. Die zivilen und militärischen Einrichtungen
(sogar das Zentrum der Maschinerie des nationalen Sicherheitsstaates hatten
sich als verwundbar gerade gegen eine Abart jener Kriegführung erwiesen, in der
dieser Apparat in beinahe sechzig Jahren die beste Expertise und scheinbare
Weltüberlegenheit erlangt hatte: dem strategischen Bombenkrieg und auch der
irregulären Kriegführung.
Mithin lag es für die
überwiegende Zahl der Funktionäre in der amerikanischen Sicherheitsmaschinerie
und Außenpolitik nahe, »better the devil you know« zum Urheber des Angriffs zu
proklamieren und zum Ziel des für die nationale Demütigung geschuldeten
Gegenangriffes zu wählen. Der weniger offenen und kaum nach völkerrechtlichen
Maßstäben operierenden inoffiziellen amerikanischen Außenpolitik waren ja die
Akteure der Zeiten der Verheerung in Afghanistan noch recht gut bekannt.
Obendrein konnte man auch noch wissen, daß und was diese seit über zwanzig
Jahren in Afghanistan und anderswo operierenden Afghansi über »special
operations« und irreguläre Kriegführung gelernt hatten. Kurz: die amerikanische
Außenpolitik hat, in erster Linie mit militärischen Mitteln, eine völlige
Kehrtwende vollzogen und beschlossen, die 20 Jahre lang für Zwecke im Kalten
Krieg und später andere geopolitische Absichten ausgenutzten bewaffneten
Gruppen des islamischen Fundamentalismus sowohl frontal als auch in ihrem
zeitweiligen Zentrum und Operationsfreiraum, dem Unstaat Afghanistan zu
bekämpfen.
Das ist weit aber weit mehr
als ein Kampf gegen »Terrorismus«. Und wenn alle Risiken vorausbedacht und
dafür Vorkehrungen getroffen worden sein sollten (wie für Aufruhr und
Staatsstreich in Pakistan und Saudi-Arabien), und die amerikanische Außenpolitik
das (erklärte) Ziel der Wiederherstellung eines stabilen und lebensfähigen
afghanischen Staates, was letztlich nur eine stabilisierende Wiedergutmachung
des malicious neglects der früheren amerikanischen Politik gegenüber diesem
Land wäre, nicht aus den Augen verliert, könnte die Verleumdung der
amerikanischen Kriegshandlungen als Kreuzzug und Kulturkrieg entkräftet werden.
Die
Vereinten Nationen und der Terrorismus
»The Dialogue, we believe, is philosophically at the
opposite end of the spectrum from terrorism... . Terrorists believe that
diversity is equal to enmity, and those who take the position that dialogue
should be pursued believe in the opposite.«
Giandomenico Picco, Persönlicher Beauftragter des
UN-Generalsekretärs für das Year of Dialogue among Civilizations
Mit dem Friedensnobelpreis
sind in den letzten beinahe 40 Jahren oft genug Personen ausgezeichnet worden,
die ein Friedenswerk erst begonnen hatten. Sie erhielten die Ehrung gleichsam
als Vorschuß und zur Ermutigung, ihren Weg unbeirrt weiterzugehen. Mitunter
büßten die so Geehrten die Fortsetzung ihrer Anstrengungen mit dem Leben, so
Dag Hammarskjöld (Preisträger 1961), Martin Luther King jr. (Preisträger 1964),
Anwar al-Sadat (Preisträger 1978), Yitzhak Rabin (Preisträger 1994) oder mit
dem Verlust der ihnen anvertrauten Macht wie Michael Gorbatschow (Preisträger
1990).
Die Verleihung des
Friedensnobelpreises kann auch vollends entgleisen und einem ganz und gar
Unwürdigen angedient werden wie dem ehemaligen Außenminister der Vereinigten
Staaten, Sir Henry Kissinger, dem das Preisverleihungskomitee im Jahre 1973 den
Preis wohl nur deswegen zusprechen zu dürfen glaubte, weil es hoffte, daß
dieser Mann, der bis dahin den Krieg in Südostasien zu terroristischen Extremen
getrieben hatte, nun endlich genug damit hatte und aus Mangel an Möglichkeiten
zu siegen dem Frieden eine »realpolitische« Chance geben würde.
Die ungünstigeren Auspizien
des Preises sollen hier nicht zu sehr beschworen werden, weil dies gegenüber
den Bemühungen des Generalsekretärs Kofi Annan und der Vereinten Nationen unter
seiner Leitung ein Scheitern oder Schlimmeres insinuieren könnte. Es sei nur
als Hinweis auf die Fragwürdigkeit der Auszeichnung und die Motive der
Preisverleiher eingestreut; wiewohl man auch den geharnischten Einspruch Andre
Gunder Franks gegen die behaupteten Verdienste des Generalsekretärs Annan und
seiner Organisation berechtigt und die von ihm angeführten Belege ihrer
Ausschaltung nicht unzutreffend finden kann. (Verweis) So mag man dann die
Ehrung (wieder einmal) als bloßen Vorschußlorbeer nehmen und sich fragen,
welche Aussichten denn bestehen, daß es Kofi Annan und der Organisation der
Vereinten Nationen gelingen könnte zu erreichen, was das Nobelkomitee mit seiner
Preisverleihung proklamiert hat:
Through this first Peace Prize to the U.N. as such, the
Norwegian Nobel Committee wishes in its centenary year to proclaim that the
only negotiable route to global peace and cooperation goes by way of the United
Nations.
Vielleicht mit der
Resolution 1373 vom 28. September? (Verweis
http://www.un.org/Docs/scres/2001/res1373e.pdf /Deutsch:
http://www.un.org/depts/german/sr/sr_01/sr1373.pdf)
In den beiden
Entschließungen 1368 und 1373 hat der Sicherheitsrat dem Sekretariat, der
Generalversammlung und allen Mitgliedsstaaten eine selten einmütige
Entschließung vorgelegt, die als umfassender Katalog von Maßnahmen und
Forderungen an alle Mitglieder nach Kapitel VII »bei Bedrohung oder Bruch des
Friedens und bei Angriffshandlungen« anzusehen ist. Sich diese Entschließung
und die Schlußfolgerungen des Sicherheitsrates aus den Untaten vom 11.
September genauer anzusehen lohnt alle Mühe, wenn man sie nicht als
Aufforderung oder Ermächtigung zur Selbstverteidigung mißversteht, sondern als
systematisierte Aufforderung an alle Mitgliedsstaaten, mit gezielten Maßnahmen
präventiv gegen terroristische Handlungen sowohl im Innern ihres
Hoheitsgebietes als auch gegen solche, die von ihrem Hoheitsgebiet vorbereitet
und begangen werden, vorzugehen. Diese Maßnahmen müssen notwendig auch die
internationale Kooperation einschließen »by taking additional measures to
prevent and suppress, in their territories through all lawful means, the
financing and preparation of any acts of terrorism«.
Es mag zutreffen, daß sich
der Sicherheitsrat »mit der Klassifizierung des Terrorismus als Bedrohung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« auf völkerrechtliches Neuland
vorwagt, wie die Bundesregierung festgestellt haben will, aber auf diesem völkerrechtlichen
Neuland schien der Sicherheitsrat außer Einigkeit, die nach den Schrecknissen
und der Ungeheuerlichkeit der Angriffe auf das World Trade Center und das
Pentagon (jetzt eher Tetragon) nachzuvollziehen ist, keinen besonders genauen
Kompaß zu haben.
Die Resolution bezeichnet
die Flugzeugentführungen und Selbstmord- und Mordflüge, die zugleich die ersten
Bomberangriffe auf zivile und militärische Ziele in Amerika überhaupt waren,
als terroristische Handlungen, läßt aber im weiteren Text eine halbwegs klare
Definition dessen, was eine terroristische Handlung ist, vermissen. Wie man
weiß, war die Regierung der Vereinigten Staaten sehr rasch nach den Ereignissen
zur Schlußfolgerung gekommen, daß es sich um »acts of war« handelte. Da sich
bis heute weder ein Staat noch irgendeine Organisation für diesen Angriff auf
die Vereinigten Staaten verantwortlich erklärt hat, fehlt sowohl den
Vereinigten Staaten als auch den Vereinten Nationen ein völkerrechtliches
Subjekt, das man entweder einer Selbstverteidigungshandlung oder einer
Friedenserzwingungsmaßnahme nach der Charta der Vereinten Nationen unterwerfen
könnte. Das Neuland, das der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen betreten
hat, ist vorerst ein Niemandsland.
Das
Gewicht der Aufgabe
»Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, sondern es geht
um den Kampf um die Kultur in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt.«
Wahrhaftig eine historische
Aufgabe, aber gewiß immer noch keine Definition terroristischer Handlungen, die
eine Generalversammlung braucht, um den Friedensbruch völkerrechtlich und auf
Gegenseitigkeit verbindlich zu kodifizieren. Dabei kommt es in erster Linie
darauf an, zur Klärung der strategischen Frage zusammenzuarbeiten, wie
dieser oder jener Gegner zum Verursacher von »Bedrohung oder Bruch des Friedens
und von Angriffshandlungen« entstanden ist, woher er seine (gegenwärtige)
Schlagkraft und Fähigkeit zur Zerstörung und zur Erzeugung von Schrecken
bezieht und wie seine scheinbare emotionale, ideologische, kulturelle und
finanzielle Schubkraft aufgehoben werden kann. Denn da es sich um einen
nichtstaatlichen Gegner handeln soll, muß er seine Entstehung einem
organisierenden Prinzip verdanken. Jeder Staat kommt ohne dieses Prinzip aus,
weil er bereits eine bestehende Organisation ist, aber keine »globale«
Organisation mit all den über- oder zwischenstaatlichen Merkmalen, mit denen
zum Beispiel Al Qaida beschrieben wird, kann sich ohne eine solche
verschwörerische Rechtfertigung bilden, mit der sie darauf setzt, Hilfstruppen
in ihrem verblendeten heiligen Krieg zu gewinnen.
Eine einleuchtende
Beschreibung, die alle Arten von Terrorismus, irregulärer Kriegführung
und tyrannischer Willenserzwingung im Weltsystem zusammendenkt, könnte die
folgende aus einem Aufsatz des Frankfurter Hirnforschers Wolf Singer sein:
Die Option zu globalen Interventionen befördert zugleich
das Gefühl besonderer Verantwortlichkeit und die Hybris der
Selbstgerechtigkeit. Genau dies sind die Attribute, die für einen
personifizierbaren Feind gebraucht werden.
Dem Feind muß Intentionalität und Verantwortung für seine
Taten zugeschrieben werden können. Anders gelingt die Rechtfertigung nicht für
den Angriff. Und dieser Rechtfertigung bedarf es, um die identitätsstiftende
Wirkung selbst grausamster Akte nicht zu gefährden. Auch braucht es die
Rechfertigung, um nicht mit religiösen Geboten, Mitleid und Gewissen in
Konflikt zu geraten. Eigentümlicherweise verfügen nahezu alle Weltreligionen
und Rechtssysteme über solche Rechtfertigungsklauseln - aber diese greifen nur,
wenn das Böse personifiziert und ihm Intentionalität unterstellt werden kann.
...
Zwischen symptomatischen und kausalen Therapieansätzen
läge der Versuch, aller gewaltbereiten Anführer präventiv habhaft zu werden und
ihre Versorgungssysteme zu zerschlagen. Ein heroisches Unterfangen, das
beharrlich und über eine lange Zeit verfolgt werden muß, der chirurgischen
Behandlung von Metastasen nicht unähnlich. Da diese Strategie nur Erfolg haben
kann, wenn sie multizentrisch und verdeckt von vielen Akteuren gleichzeitig
durchgeführt wird, hat sie den Vorteil gegenüber allen spektakulären Aktionen,
daß sie die Konstruktion plakativer Feindbilder erschwert. (Wolf Singer in FAZ
vom 05.10.01)
Kampf
gegen das subversive Geld
An der Weisheit der amerikanischen Staatsintelligenz
bei der Führung des Krieges gegen das Regime, das sie als Urheber und Hort des
internationalen Terrorismus identifiziert, kann man zweifeln. Nicht aber daran,
daß die amerikanischen Verfassungsinstitutionen am Leben und in Bewegung sind.
Der am 26.10. Gesetz gewordene »USA Patriot Act« H.R.3162 enthält unter Titel 3
INTERNATIONAL MONEY LAUNDERING ABATEMENT AND ANTI-TERRORIST FINANCING ACT OF
2001 Strafverfolgungsmaßnahmen, die vor allem das Finanzministerium in die Lage
versetzen, gegen die Herkunft und Verwendung gewaschenen, i. e. subversiven
Geldes und seiner Verwandlung in Finanzanlagen vorzugehen. Der
(straf-)rechtsfreie Raum der durch Finanzverbindungen mit Offshore-Territorien
zu unterwandernden Kontrolle soll durch die staatlichen Instanzen der USA
wieder unter Kontrolle gebracht werden. Damit will man die Finanzierung
terroristischer Handlungen und deren Vorbereitung wirksam unterbinden und hat
ein potentiell mächtiges Werkzeug geschaffen, um nicht nur den Terrorismus zu
bekämpfen, sondern auch einige andere dunkle Resultate der Willkür- und
Destabilisierungsfaktoren von Globalisierung und Entstaatlichung der
Finanzbeziehungen, der subversiven Wirkungen des Geldes. Wenn die Anwendung
dieser Maßnahmen tatsächlich durchorganisiert würden wie in einem Krieg, müßten
sie sehr bald auch auf einen anderen Komplex des schmutzigen Geldes treffen,
den Drogenhandel und die mit ihm stets verbundene Geldwäsche. Es kann nicht
lange dauern, bis der War on Drugs mit dem War on Terrorism zusammenfallen muß
und der Kampf gegen schmutziges Geld für den Terrorismus sich zum Krieg gegen
den Terrorismus des schmutzigen und subversiven Geldes ausweitet.
Mit den Auswirkungen des »Dirty Money« auf das
globale System einerseits und die Grundlagen einer demokratischen Republik
andererseits hat sich bereits vor drei Jahren der amerikanische
Politikwissenschaftler und ehemalige Diplomat David C. Jordan befaßt. In
seinem Buch »Drug Politics – Dirty Money and Democracies« hält er fest: »Kern
des Drogengeschäftes sind Anbau und Erzeugung von Rauschgift, doch das Problem
reicht weiter. Dieses Geschäft erhält rund um die Welt kulturelle und
politische Protektion. Tatsächlich gefährden die finanziellen,
wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der
Drogenkultur die demokratische Stabilität und die internationale politische
Umwelt.«
Die grundsätzlichen Überlegungen, anhand derer er zu
dieser Feststellung kommt, sind in den beiden ersten Kapiteln seines Buches herausgearbeitet.
Das Buch stellt sich mit den Worten des Verfassers »die Aufgabe, über die
klassischen Belange des demokratischem Republikanismus hinauszugelangen und
sich mit den Herausforderungen zu befassen, die aus der Globalisierung der
Weltwirtschaft und der Bedrohung durch Korruption entstanden sind«.
Für seine Bereitschaft, Kapitel aus seinem Buch in
den abdrucken zu lassen, bei denen seine Urheberrechte unbeschadet bleiben,
schuldet ihm die Redaktion der Studien, von der auch die deutsche
Übersetzung besorgt wurde, Dank.