Subversive Wirkungen und Gegenwirkungen der Säkularisierung

 

von David Hartstein

 

Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich im Modus der Übersetzung. Das ist es, was der Westen als weltweit säkularisierende Macht aus seiner eigenen Geschichte lernen kann. Sonst wird der Westen auch der arabischen Welt nur als Kreuzritter einer konkurrierenden Glaubensmacht oder als Handelsreisender einer instrumentellen Vernunft, die jeden Sinn unter sich begräbt, erscheinen.

Jürgen Habermas in seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche

 

Die deutsche Volksvertretung hat am 19. September dem amerikanischen Volk ein Versprechen gegeben, worauf sich die Bundesregierung in ihrem Antrag an den Bundestag vom 7. November nun beruft. Zu diesem Versprechen, das wiederum die deutsche Bundesregierung, auch unter Anrufung des Kernsatzes der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, unter dem Eindruck der menschenverachtenden Selbstmord-Luftangriffe auf die Vereinigten Staaten von Amerika seither mehrfach bekräftigt hat, gehört auch die »Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus«. Dieses Versprechen ist sowohl von der amerikanischen Öffentlichkeit als auch in den Verfassungsorganen dankend entgegengenommen worden. Man wird es nicht als »Nibelungentreue« diffamieren können, wenn dieses Versprechen gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegner und Befreier nun eingelöst wird. Und wer unter den Staatsschauspielern in Berlin sich dazu bei der Abstimmung nächste Woche nicht in der Lage sieht, sollte auch gleich aussprechen, daß ihm weder die Beteiligung an der Regierung noch eine tragfähige und auch in kritisch-hysterischen Zeiten mit Geduld erhaltene deutsch-amerikanische Freundschaft daseinswichtig ist. Mit ihnen läßt sich in der zweiten deutschen Republik kein Staat machen. Denn die deutsch-amerikanische Freundschaft ist mindestens die instrumentelle Vernunft dieses Staates (»Staatsraison«), die aus der geschichtlichen Vernunft der »amerikanischen« Unabhängigkeitserklärung heraus begründet ist: Leben, Freiheit und Streben nach Glück. Diese »Bürgschaft« müssen die Deutschen halten.

Wohl kann, wer beabsichtigt, dem Antrag der Bundesregierung im Bundestag nächste Woche die Zustimmung zu versagen, für sich in Anspruch nehmen, daß eine Teilnahme bewaffneter Deutscher an einem Bombenzermürbungs- und Entlastungskrieg über dem geschundenen Afghanistan damals noch nicht vorausgesehen werden konnte und die Zweifel an der Weisheit der amerikanischen Strategie (wenn es eine solche denn schon gibt) mittlerweile eine kritische Schwelle überschritten haben. »Solidarität« mit jenen Abenteurern und Kreuzrittern zu üben, die sich in einem losgelassenen und zu Wahnsinnsspielen neigenden Propagandaklüngel um das Pentagon (jetzt eher Tetragon) herum versammeln und den stellvertretenden Verteidigungsminister Wolfowitz als ihren Vertreter vorschicken, ist ja auch bestimmt nicht die Absicht des Antrages. Die Wolfowitze würden sich auch verrechnet haben, wenn sie glaubten, Deutschland in Situationen hineinziehen zu können, in denen die verfaßten Grundlagen eines bewaffneten Einsatzes deutscher Bürger in Uniform in der Dynamik der Bündnistreue und Solidarität ein- und fortgerissen würden. Eine Regierung, die dies der amerikanischen Führung, ob im Pentagon (jetzt eher Tetragon), State Department oder White House nicht klar zu verstehen gegeben hätte, bräuchte dann auch nie wieder vor den Bundestag zu treten.

Unaufmerksamkeit, wohlfeile Solidaritätsbekundungen und mangelnde Voraussicht reichen nicht aus, um jetzt Unwissenheit vorzuschützen. Jedes Mitglied des Deutschen Bundestages wußte, was vor sechs Wochen zur Abstimmung stand und daß die daraus resultierenden Taten irgendwann gefordert werden würden. Die Bundesregierung reibt nun der Vertretung des deutschen Souveräns unter die Nase, daß der Bundestag »die Resolution 1368 (2001) begrüßt...« habe, »...mit der die Anschläge als eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit gewertet werden, gegen die das Recht der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegeben ist«.

Auf diesem Anspruch gegenüber allen Fraktionen und Minderheitspositionen aufsetzend, versucht die Bundesregierung nachzuweisen, daß die Voraussetzungen ihres Antrages völkerrechtsgemäß sind. Was aber hier vorgetragen wird, ist bestenfalls der eilig kompilierte Schriftsatz eines Anwalts für sein Anfangsplädoyer und eben nur parteitreu, als was sich darzustellen die Bundesregierung aus verständlichen Gründen derzeit bestrebt ist. Völkerrechtlich klar, einwandfrei und abgesichert ist ihre Auslegung aber keineswegs. Denn weder die Resolution 1368 noch die Resolution 1373 befürworten in direkter Form eine Selbstverteidigung, zu der die Vereinigten Staaten, nach ihrem eigenen Dafürhalten legitimerweise, mittlerweile übergegangen sind. (Verweis http://www.un.org/Docs/scres/2001/res1373e.pdf /Deutsch: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_01/sr1373.pdf)

Es handelt sich selbstredend nur um Resolutionen des Sicherheitsrates und demzufolge nicht um neu gesetzte Regelungen für alle Vereinten Nationen. Die können nur von der Generalversammlung verabschiedet werden. Der Sicherheitsrat hat vielmehr in beiden Resolutionen Aufrufe erlassen, Appelle und Verpflichtungen niedergelegt, die insgesamt beeindruckend, bedenkenswert und seinen Befugnissen aus Kapitel VII gemäß sind, er hat aber weder allgemein noch im besonderen Akte der Selbstverteidigung gebilligt oder befürwortet, sondern in der Resolution 1368 das Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 lediglich anerkannt und in der Resolution 1373 bekräftigt.

Nach diesen für die Gesamtheit der Vereinten Nationen Verpflichtung heischenden, aber noch nicht als Verpflichtungen legitimerten Entschließungen hat sich der Sicherheitsrat mitsamt dem Generalsekretär in den Hintergrund der New Yorker Bühne verabschiedet. Anstelle der in Kapitel VII satzungsgemäß vorgeschriebenen Verfahren bei »Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen«, unter denen Artikel 51 nur einer der zur Friedensstiftung aufgeführten Artikel ist, hat der Sicherheitsrat alles weitere Handeln den Vereinigten Staaten überlassen. Nicht zum ersten Mal. Wir kennen das von Perez de Cuellar und dem Generalsekretariat aus seiner Amtszeit. Für die legitimationsbedürftige Bundesregierung läßt dies eine Interpretation »as a matter of fact« offen, die ihr weiteres anstrengendes Nachfragen zur Rolle der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates nach Verabschiedung der Entschließungen sowie zur Erklärung der Luftangriffe auf Afghanistan in Ausübung des Rechts zur Selbstverteidigung erspart. So kann man es auch machen.

Vielleicht sollten sich auch alle Verantwortlichen im ehemaligen NATO-Bündnis (- das zwar den Bündnisfall erklärt hat, aber für die Kriegführung der Vereinigten Staaten derzeit und bei Fortbestand der russischen Haltung gegenüber Europa auch künftig überflüssig ist -) wie auch in der vom amerikanischen Außenminister Powell zeitweilig zusammengeführten Koalition jegliche völkerrechtliche Begründung ihres Tuns, Unterstützens und Unterlassens ersparen. Es kommt in der gegenwärtigen Frontstellung nur pseudolegale Diplomatik und Propaganda zum Vorschein.

Zum Zeitpunkt des ersten Bombenangriffes auf militärisch wichtige Ziele in Afghanistan war weder schlüssig bewiesen, daß der anscheinend schwer nierenkranke, aber zum allgewaltigen Nachfahren der Seldschuken zurechtphantasierte Bin Ladin (- der dieser islamischen Allgewalt in seiner Eitelkeit auch teilhaftig zu sein glaubt -) und die von ihm finanzierte und beeinflußte terroristische Organisation Al Qaida für den Luftangriff auf das World Trade Center und das Pentagon (jetzt eher Tetragon) als Urheber, Lenker und Ausführende dieser Operation der irregulären Kriegführung identifizierbar waren, noch darüber hinaus klar erwiesen, daß das islamisch-faschistische Regime der Talibane Mitwisser und Komplizen dieser Anschläge waren.

Eine der stets überspannten »Spinsanities« des kriegerischen britischen Premierministers Blair war es, seinen Geheimdienst eine Beweisschrift ausarbeiten und in erlesenen Zeitungen veröffentlichen zu lassen, in denen die Täterschaft des Bin Ladin für die Verbrechen in New York und Washington belegt werden sollte. Beim genaueren Lesen stellte sich jedoch heraus, daß es sich um nichts besseres als einen Cant handelte, der günstigenfalls vor einer amerikanischen Jury zur Anklageerhebung hingereicht hätte, für die Rechtfertigung eines Aktes der Selbstverteidigung gegen die Gebiete der Taliban im schon lange staatslos verelendeten Afghanistan aber völlig untauglich war. Und worin hätte eigentlich die Rechtfertigung eines britischen Angriffes gegen das Taliban-Regime bestanden? Gegen welchen Angriff auf das Vereinigte Königreich hätten Cruise Missiles der Navy eigentlich Selbstverteidigung geübt? »A government drunk on power«, wie es ein rebellierendes MP in Britannien ausdrückte? Jedenfalls keine Regierung, die die Sperrstunde einhält.

 

Ein Kriegsbild

 

Die Kennzeichnung des kriegerischen (und nur bedingt »militärischen«) Verhältnisses in einem neuen nichtstaatlichen und von völkerrechtlichen Bedenken völlig ungetrübten Raum findet sich in der knappsten und treffendsten Form in einer Analyse von Stratfor, in der das künftige Vorgehen des Pentagon (jetzt eher Tetragon) als »Grand Strategy« entworfen wird:

 

There have never been two more dissimilar fighting forces than those of the United States and al Qaeda. Both have global capabilities, but these capabilities are utterly different. Al Qaeda`s strength derives from pure stealth. It is a special operations force designed to survive by disappearing into the surrounding society and then, at the time and place of its choosing, strike suddenly. U.S. strength derives from its overwhelming technology, which allows America to strike where and when it wants. Both sides enjoy extraordinary freedom of action  – for very different reasons  – yet neither appears able to match its armed forces to its political aims.

 

Mit dieser Kriegsbilddarstellung wird zugleich das System beschrieben, auf das sich die in der amerikanischen Regierung hinter den Kulissen befehdenden Tendenzen in der neuen historischen Situation nach dem 11. September vorläufig geeinigt haben. Hier wird der Bedingungsrahmen einer sich verstetigenden asymmetrischen globalen Polarität konstruiert, deren Unentschiedenheit und wechselseitiges Ungleichgewicht in Verschränkung miteinander einem ausschließlich mit militärischen Kategorien zu steuernden Systemmanagement unter den neu »entstandenen« Rahmenbedingungen unterworfen wird. In Daniel Yergins »Shattered Peace - The Origins of the Cold War« läßt sich nachlesen, wie die Erzeugung und Verfestigung bestimmter kognitiver Schemata durch die Magie der »self-fulfilling prophecy« die Wahrnehmung der Staatenwelt, die globale Ansammlung der Souveräne prägen und verformen kann. Es dürfte keinem der verantwortlich Beteiligten im System der globalen Politik daran gelegen sein, daß sich dieses Subsystem in Ermangelung von Gegenkräften zum Weltsystem auswächst.

Nachdem das Volk der Vereinigten Staaten eine Erfahrung gemacht hat, die in mancherlei Hinsicht einige Ähnlichkeiten mit dem Erlebnis »Dresden« aufweist, sah sich die permanente Bürokratie der nationalen Sicherheit in Pentagon (jetzt eher Tetragon) und State Department zuallererst gezwungen, aus einem Zustand der potentiellen Belagerung (durch einen Gegner, der über »Stealth« verfügt) im Innern wie außen auszubrechen. Die zivilen und militärischen Einrichtungen (sogar das Zentrum der Maschinerie des nationalen Sicherheitsstaates hatten sich als verwundbar gerade gegen eine Abart jener Kriegführung erwiesen, in der dieser Apparat in beinahe sechzig Jahren die beste Expertise und scheinbare Weltüberlegenheit erlangt hatte: dem strategischen Bombenkrieg und auch der irregulären Kriegführung.

Mithin lag es für die überwiegende Zahl der Funktionäre in der amerikanischen Sicherheitsmaschinerie und Außenpolitik nahe, »better the devil you know« zum Urheber des Angriffs zu proklamieren und zum Ziel des für die nationale Demütigung geschuldeten Gegenangriffes zu wählen. Der weniger offenen und kaum nach völkerrechtlichen Maßstäben operierenden inoffiziellen amerikanischen Außenpolitik waren ja die Akteure der Zeiten der Verheerung in Afghanistan noch recht gut bekannt. Obendrein konnte man auch noch wissen, daß und was diese seit über zwanzig Jahren in Afghanistan und anderswo operierenden Afghansi über »special operations« und irreguläre Kriegführung gelernt hatten. Kurz: die amerikanische Außenpolitik hat, in erster Linie mit militärischen Mitteln, eine völlige Kehrtwende vollzogen und beschlossen, die 20 Jahre lang für Zwecke im Kalten Krieg und später andere geopolitische Absichten ausgenutzten bewaffneten Gruppen des islamischen Fundamentalismus sowohl frontal als auch in ihrem zeitweiligen Zentrum und Operationsfreiraum, dem Unstaat Afghanistan zu bekämpfen.

Das ist weit aber weit mehr als ein Kampf gegen »Terrorismus«. Und wenn alle Risiken vorausbedacht und dafür Vorkehrungen getroffen worden sein sollten (wie für Aufruhr und Staatsstreich in Pakistan und Saudi-Arabien), und die amerikanische Außenpolitik das (erklärte) Ziel der Wiederherstellung eines stabilen und lebensfähigen afghanischen Staates, was letztlich nur eine stabilisierende Wiedergutmachung des malicious neglects der früheren amerikanischen Politik gegenüber diesem Land wäre, nicht aus den Augen verliert, könnte die Verleumdung der amerikanischen Kriegshandlungen als Kreuzzug und Kulturkrieg entkräftet werden.

 

Die Vereinten Nationen und der Terrorismus

 

»The Dialogue, we believe, is philosophically at the opposite end of the spectrum from terrorism... . Terrorists believe that diversity is equal to enmity, and those who take the position that dialogue should be pursued believe in the opposite.«

Giandomenico Picco, Persönlicher Beauftragter des UN-Generalsekretärs für das Year of Dialogue among Civilizations

 

Mit dem Friedensnobelpreis sind in den letzten beinahe 40 Jahren oft genug Personen ausgezeichnet worden, die ein Friedenswerk erst begonnen hatten. Sie erhielten die Ehrung gleichsam als Vorschuß und zur Ermutigung, ihren Weg unbeirrt weiterzugehen. Mitunter büßten die so Geehrten die Fortsetzung ihrer Anstrengungen mit dem Leben, so Dag Hammarskjöld (Preisträger 1961), Martin Luther King jr. (Preisträger 1964), Anwar al-Sadat (Preisträger 1978), Yitzhak Rabin (Preisträger 1994) oder mit dem Verlust der ihnen anvertrauten Macht wie Michael Gorbatschow (Preisträger 1990).

Die Verleihung des Friedensnobelpreises kann auch vollends entgleisen und einem ganz und gar Unwürdigen angedient werden wie dem ehemaligen Außenminister der Vereinigten Staaten, Sir Henry Kissinger, dem das Preisverleihungskomitee im Jahre 1973 den Preis wohl nur deswegen zusprechen zu dürfen glaubte, weil es hoffte, daß dieser Mann, der bis dahin den Krieg in Südostasien zu terroristischen Extremen getrieben hatte, nun endlich genug damit hatte und aus Mangel an Möglichkeiten zu siegen dem Frieden eine »realpolitische« Chance geben würde.

Die ungünstigeren Auspizien des Preises sollen hier nicht zu sehr beschworen werden, weil dies gegenüber den Bemühungen des Generalsekretärs Kofi Annan und der Vereinten Nationen unter seiner Leitung ein Scheitern oder Schlimmeres insinuieren könnte. Es sei nur als Hinweis auf die Fragwürdigkeit der Auszeichnung und die Motive der Preisverleiher eingestreut; wiewohl man auch den geharnischten Einspruch Andre Gunder Franks gegen die behaupteten Verdienste des Generalsekretärs Annan und seiner Organisation berechtigt und die von ihm angeführten Belege ihrer Ausschaltung nicht unzutreffend finden kann. (Verweis) So mag man dann die Ehrung (wieder einmal) als bloßen Vorschußlorbeer nehmen und sich fragen, welche Aussichten denn bestehen, daß es Kofi Annan und der Organisation der Vereinten Nationen gelingen könnte zu erreichen, was das Nobelkomitee mit seiner Preisverleihung proklamiert hat:

 

Through this first Peace Prize to the U.N. as such, the Norwegian Nobel Committee wishes in its centenary year to proclaim that the only negotiable route to global peace and cooperation goes by way of the United Nations.

 

Vielleicht mit der Resolution 1373 vom 28. September? (Verweis http://www.un.org/Docs/scres/2001/res1373e.pdf /Deutsch: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_01/sr1373.pdf)

In den beiden Entschließungen 1368 und 1373 hat der Sicherheitsrat dem Sekretariat, der Generalversammlung und allen Mitgliedsstaaten eine selten einmütige Entschließung vorgelegt, die als umfassender Katalog von Maßnahmen und Forderungen an alle Mitglieder nach Kapitel VII »bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen« anzusehen ist. Sich diese Entschließung und die Schlußfolgerungen des Sicherheitsrates aus den Untaten vom 11. September genauer anzusehen lohnt alle Mühe, wenn man sie nicht als Aufforderung oder Ermächtigung zur Selbstverteidigung mißversteht, sondern als systematisierte Aufforderung an alle Mitgliedsstaaten, mit gezielten Maßnahmen präventiv gegen terroristische Handlungen sowohl im Innern ihres Hoheitsgebietes als auch gegen solche, die von ihrem Hoheitsgebiet vorbereitet und begangen werden, vorzugehen. Diese Maßnahmen müssen notwendig auch die internationale Kooperation einschließen »by taking additional measures to prevent and suppress, in their territories through all lawful means, the financing and preparation of any acts of terrorism«.

Es mag zutreffen, daß sich der Sicherheitsrat »mit der Klassifizierung des Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« auf völkerrechtliches Neuland vorwagt, wie die Bundesregierung festgestellt haben will, aber auf diesem völkerrechtlichen Neuland schien der Sicherheitsrat außer Einigkeit, die nach den Schrecknissen und der Ungeheuerlichkeit der Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon (jetzt eher Tetragon) nachzuvollziehen ist, keinen besonders genauen Kompaß zu haben.

Die Resolution bezeichnet die Flugzeugentführungen und Selbstmord- und Mordflüge, die zugleich die ersten Bomberangriffe auf zivile und militärische Ziele in Amerika überhaupt waren, als terroristische Handlungen, läßt aber im weiteren Text eine halbwegs klare Definition dessen, was eine terroristische Handlung ist, vermissen. Wie man weiß, war die Regierung der Vereinigten Staaten sehr rasch nach den Ereignissen zur Schlußfolgerung gekommen, daß es sich um »acts of war« handelte. Da sich bis heute weder ein Staat noch irgendeine Organisation für diesen Angriff auf die Vereinigten Staaten verantwortlich erklärt hat, fehlt sowohl den Vereinigten Staaten als auch den Vereinten Nationen ein völkerrechtliches Subjekt, das man entweder einer Selbstverteidigungshandlung oder einer Friedenserzwingungsmaßnahme nach der Charta der Vereinten Nationen unterwerfen könnte. Das Neuland, das der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen betreten hat, ist vorerst ein Niemandsland.

 

Das Gewicht der Aufgabe

 

»Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, sondern es geht um den Kampf um die Kultur in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt.«

 

Wahrhaftig eine historische Aufgabe, aber gewiß immer noch keine Definition terroristischer Handlungen, die eine Generalversammlung braucht, um den Friedensbruch völkerrechtlich und auf Gegenseitigkeit verbindlich zu kodifizieren. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, zur Klärung der strategischen Frage zusammenzuarbeiten, wie dieser oder jener Gegner zum Verursacher von »Bedrohung oder Bruch des Friedens und von Angriffshandlungen« entstanden ist, woher er seine (gegenwärtige) Schlagkraft und Fähigkeit zur Zerstörung und zur Erzeugung von Schrecken bezieht und wie seine scheinbare emotionale, ideologische, kulturelle und finanzielle Schubkraft aufgehoben werden kann. Denn da es sich um einen nichtstaatlichen Gegner handeln soll, muß er seine Entstehung einem organisierenden Prinzip verdanken. Jeder Staat kommt ohne dieses Prinzip aus, weil er bereits eine bestehende Organisation ist, aber keine »globale« Organisation mit all den über- oder zwischenstaatlichen Merkmalen, mit denen zum Beispiel Al Qaida beschrieben wird, kann sich ohne eine solche verschwörerische Rechtfertigung bilden, mit der sie darauf setzt, Hilfstruppen in ihrem verblendeten heiligen Krieg zu gewinnen.

Eine einleuchtende Beschreibung, die alle Arten von Terrorismus, irregulärer Kriegführung und tyrannischer Willenserzwingung im Weltsystem zusammendenkt, könnte die folgende aus einem Aufsatz des Frankfurter Hirnforschers Wolf Singer sein:

Die Option zu globalen Interventionen befördert zugleich das Gefühl besonderer Verantwortlichkeit und die Hybris der Selbstgerechtigkeit. Genau dies sind die Attribute, die für einen personifizierbaren Feind gebraucht werden.

Dem Feind muß Intentionalität und Verantwortung für seine Taten zugeschrieben werden können. Anders gelingt die Rechtfertigung nicht für den Angriff. Und dieser Rechtfertigung bedarf es, um die identitätsstiftende Wirkung selbst grausamster Akte nicht zu gefährden. Auch braucht es die Rechfertigung, um nicht mit religiösen Geboten, Mitleid und Gewissen in Konflikt zu geraten. Eigentümlicherweise verfügen nahezu alle Weltreligionen und Rechtssysteme über solche Rechtfertigungsklauseln - aber diese greifen nur, wenn das Böse personifiziert und ihm Intentionalität unterstellt werden kann.

...

Zwischen symptomatischen und kausalen Therapieansätzen läge der Versuch, aller gewaltbereiten Anführer präventiv habhaft zu werden und ihre Versorgungssysteme zu zerschlagen. Ein heroisches Unterfangen, das beharrlich und über eine lange Zeit verfolgt werden muß, der chirurgischen Behandlung von Metastasen nicht unähnlich. Da diese Strategie nur Erfolg haben kann, wenn sie multizentrisch und verdeckt von vielen Akteuren gleichzeitig durchgeführt wird, hat sie den Vorteil gegenüber allen spektakulären Aktionen, daß sie die Konstruktion plakativer Feindbilder erschwert. (Wolf Singer in FAZ vom 05.10.01)

 

 

Kampf gegen das subversive Geld

 

An der Weisheit der amerikanischen Staatsintelligenz bei der Führung des Krieges gegen das Regime, das sie als Urheber und Hort des internationalen Terrorismus identifiziert, kann man zweifeln. Nicht aber daran, daß die amerikanischen Verfassungsinstitutionen am Leben und in Bewegung sind. Der am 26.10. Gesetz gewordene »USA Patriot Act« H.R.3162 enthält unter Titel 3 INTERNATIONAL MONEY LAUNDERING ABATEMENT AND ANTI-TERRORIST FINANCING ACT OF 2001 Strafverfolgungsmaßnahmen, die vor allem das Finanzministerium in die Lage versetzen, gegen die Herkunft und Verwendung gewaschenen, i. e. subversiven Geldes und seiner Verwandlung in Finanzanlagen vorzugehen. Der (straf-)rechtsfreie Raum der durch Finanzverbindungen mit Offshore-Territorien zu unterwandernden Kontrolle soll durch die staatlichen Instanzen der USA wieder unter Kontrolle gebracht werden. Damit will man die Finanzierung terroristischer Handlungen und deren Vorbereitung wirksam unterbinden und hat ein potentiell mächtiges Werkzeug geschaffen, um nicht nur den Terrorismus zu bekämpfen, sondern auch einige andere dunkle Resultate der Willkür- und Destabilisierungsfaktoren von Globalisierung und Entstaatlichung der Finanzbeziehungen, der subversiven Wirkungen des Geldes. Wenn die Anwendung dieser Maßnahmen tatsächlich durchorganisiert würden wie in einem Krieg, müßten sie sehr bald auch auf einen anderen Komplex des schmutzigen Geldes treffen, den Drogenhandel und die mit ihm stets verbundene Geldwäsche. Es kann nicht lange dauern, bis der War on Drugs mit dem War on Terrorism zusammenfallen muß und der Kampf gegen schmutziges Geld für den Terrorismus sich zum Krieg gegen den Terrorismus des schmutzigen und subversiven Geldes ausweitet.

 

Mit den Auswirkungen des »Dirty Money« auf das globale System einerseits und die Grundlagen einer demokratischen Republik andererseits hat sich bereits vor drei Jahren der amerikanische Politikwissenschaftler und ehemalige Diplomat David C. Jordan befaßt. In seinem Buch »Drug Politics – Dirty Money and Democracies« hält er fest: »Kern des Drogengeschäftes sind Anbau und Erzeugung von Rauschgift, doch das Problem reicht weiter. Dieses Geschäft erhält rund um die Welt kulturelle und politische Protektion. Tatsächlich gefährden die finanziellen, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Drogenkultur die demokratische Stabilität und die internationale politische Umwelt.«

Die grundsätzlichen Überlegungen, anhand derer er zu dieser Feststellung kommt, sind in den beiden ersten Kapiteln seines Buches herausgearbeitet. Das Buch stellt sich mit den Worten des Verfassers »die Aufgabe, über die klassischen Belange des demokratischem Republikanismus hinauszugelangen und sich mit den Herausforderungen zu befassen, die aus der Globalisierung der Weltwirtschaft und der Bedrohung durch Korruption entstanden sind«.

Für seine Bereitschaft, Kapitel aus seinem Buch in den abdrucken zu lassen, bei denen seine Urheberrechte unbeschadet bleiben, schuldet ihm die Redaktion der Studien, von der auch die deutsche Übersetzung besorgt wurde, Dank.